76 | Nachmittag mit Graureiher

„Mein Körper ist siech. Und ich kann seinen Verfall nicht mehr aufhalten. Wie ein Tier, das den Tod nahen fühlt, spüre ich, wie der meine sich in meinem Leben einnistet, mit solcher Macht, dass ich nicht dagegen anzugehen vermag.“

(Frida Kahlo)

Auf dem Kirchenplatz findet heute Morgen an Fronleichnam ein Freiluftgottesdienst statt. Er ist erstaunlich gut besucht. Wusste gar nicht, dass es in Gießen noch so viele Katholiken gibt. Ein paar Meter weiter hockt eine junge Frau am Boden und wischt über ihr Smartphone. Sie war ganz offensichtlich noch nicht im Bett und ist auf dem Heimweg von einem nächtlichen Event. Von der türkischen Bäckerei zieht der Duft frisch gebackenen Brotes herüber. Es ist noch kaum Verkehr und man kann die Kreuzungen auch ohne das grüne Licht der Ampeln gefahrlos überqueren. So sollte es immer sein. Hundebesitzer führen ihre Tiere aus, die an den Leinen zerren. Einsame Ausländer brüllen an ihre Handys hin. Die Lahn glitzert in der Morgensonne, ein Klangteppich aus Vogelgezwitscher liegt über allem. Ich schwimme ein paar Züge, setze mich danach zum Nachdenken auf den Steg und lasse die Beine ins Wasser baumeln. Ein früher Paddler zieht still vorüber und verschwindet hinter der nächsten Flussbiegung. Der Stammreiher von gegenüber stakst durchs flache Wasser und bezieht dann seine Lauerstellung. Manchmal möchte ich die Fische warnen, aber der Reiher will ja auch leben. Ich warte darauf, eine Eisvogel zu hören und dann auch zu sehen, habe aber an diesem Morgen kein Glück.

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Morgens, wenn die Angst mich packt und mein Herz bis in den Hals schlägt, beschleichen mich unangenehme Gedanken und lassen sich schwer abschütteln. Wann ist der richtige Zeitpunkt, meinem Leben ein Ende zu setzen? Wie lange habe ich es noch in der Hand, darüber zu entscheiden? Man kann den richtigen Augenblick auch versäumen. Max Frisch hat diese Problematik zeitlebens beschäftigt. Im Gespräch mit Gerhard Roth sagte er einmal: „Im Vordergrund ist immer der Gedanke gestanden: Wann ergibt sich der Augenblick, in dem ich den anderen meinen Tod zumuten kann. Diese Überlegung ist mit der Zeit immer wichtiger geworden. Und eines Tages kommt der Punkt, an dem man nicht mehr die Vitalität hat, sich umzubringen. … Mit zunehmendem Alter verliert man die Vitalität, es zu tun.“ Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, aus den Bindungen herauszutreten, die einen hindern, sich umzubringen. Wie aber stellt man das an? Die Planung des Selbstmords geht mit einer rapiden Vereinsamung und einem Rückzug der libidinösen Besetzungen ins eigene Innere einher. Das müssten aufmerksame und sensible Menschen um einen herum eigentlich bemerken. Warnsignale werden häufig übersehen, weil man ahnt, dass ihre Wahrnehmung mit Verhaltenszumutungen einhergingen, die einen überfordern und lästig sein könnten.

Meine große Furcht: Unmerklich gleitet man in die Verblödung und den körperlichen Zerfall, der einem das Heft des Handelns aus der Hand nimmt. Irgendwann findet man sich in einem Pflegeheim vor und wird von schlecht gelaunten und schlecht bezahlten Pflegern durch die Gänge geschoben. Heute Morgen machte ich mir Gedanken darüber, wer mein Gebiss säubern soll, wenn ich eines Tages nicht mehr dazu imstande bin oder eine Krankheit mich daran hindert. Ich bekomme es jetzt schon nur unter Schwierigkeiten aus dem Mund, weil es ziemlich fest sitzt und man es kaum zu fassen bekommt. Was, wenn man es aus Bequemlichkeit und Faulheit schleifen lässt? Irgendwann entsteht Leben unter den falschen Zähnen, hat ein Krankenpfleger im Krankenhaus mir mal erzählt. Man muss jemand schon sehr lieben, um sich um solche Dinge regelmäßig zu kümmern. Würde U das für mich tun? Und: Möchte ich, dass U das für mich tut? Wie weit kann und will ich die Entscheidungsgewalt über mein Leben abgeben? Wann ist da kein Ich mehr, das den leib-seelischen Verfall registrieren und Entscheidungen treffen kann?

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Drei Jahre nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Bundesregierung aufforderte, die Sterbehilfe neu zu regeln, rückt nun eine gesetzliche Regelung in greifbare Nähe. Noch vor der Sommerpause will der Bundestag über zwei Gesetzentwürfe entscheiden. Setzt sich der Entwurf der Parlamentariergruppe aus Abgeordneten von SPD, Grünen, FDP und Linken durch, dann wäre es in Deutschland künftig möglich, tödlich wirkende Medikamente zu bekommen. Zumindest für alle, die älter als 18 Jahre alt sind. Dabei wird prinzipiell nicht unterschieden, ob jemand sterbenskrank oder „bloß“ lebensmüde ist. Wenn ich denn endlich wieder einen Hausarzt hätte, könnte ich zu diesem gehen, und er oder sie könnte mir nach klärenden Gesprächen und einer Wartefrist zum Beispiel Natrium-Pentobarbital verschreiben, das einen halbwegs moderat und ohne Blutvergießen und Henkerknoten-Gewürge ins Jenseits befördert.

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Der TÜV hat mein Auto stillgelegt, bis einige Reparaturen ausgeführt sind. Ich habe es gleich bei Harald auf dem Hof stehen lassen und werde es erst wiederbekommen, wenn die Ersatzteile angekommen und eingebaut worden sind und die TÜV-Plakette aufs Nummernschild geklebt worden ist. Das kann bis Ende der nächsten Woche dauern. Und dann  bekommt ich auch die Rechnung präsentiert, die sich gewaschen heben wird. Auf rund tausend Euro solle ich mich mal einstellen. Und Harald ist ein Freund und rundet eher ab als auf. Aber an den fälligen Gebühren kann er natürlich auch nichts ändern.

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Am Samstagmorgen radle ich vor dem Frühstück zur Lahn, um schwimmen zu gehen. Unter dem Rübsamensteg hat ein nächtlicher Rave stattgefunden. Ein Mörderverstärker verbreitet eine Mördermusik in mörderischer Lautstärke. Circa fünfundzwanzig junge Leute lagern unter der Brücke, rauchen und schütten Bier aus Dosen in ihre Köpfe. Sie müssen brüllen, wenn sie sich bei der Lautstärke der sogenannten Musik verständigen wollen. Viel haben sie sich nicht zu sagen, jedenfalls nicht zu dieser frühen oder späten Stunde. Erst einen Kilometer flussaufwärts kann ich die Vögel wieder vernehmen, deren Gesang sich endlich gegen den Techno-Lärm behaupten kann. Schon der Vögel wegen sollte man so einen Lärm in der Natur nicht veranstalten. Was denkt sich ein Schwanenpaar, was eine Entenmutter, was der Eisvogel, was der Fuchs? Die waren doch alle lange vor den lärmenden Menschen hier und haben ältere Rechte.

Die noch tiefstehende Sonne wirft die Schatten der Gräser, die am Wegesrand wachsen, auf den Asphalt. Was für eine erstaunliche Vielfalt der Formen sich einem da erschließt! Die Krähen haben  den Müll, den die Leute beim Nachhausegehen rund um den Müllbehälter abgestellt haben, großflächig auf den Uferwiesen verteilt. Den Rest besorgt der Wind. Es ist alles von Müll bedeckt. Zahllose Einweggrills und leere Bier- und Weinflaschen sind zurückgeblieben. Von den vielen Kippen ganz zu schweigen. Warum geht es nicht in die Köpfe der Leute, dass man, was man mit herbringt, später auch wieder mit nach Hause nimmt und dort entsorgt? Hab ich alles schon dutzende Male gesagt und geschrieben. Es langweilt mich selbst, aber solange das inkriminierte Verhalten sich nicht ändert, werde ich es immer aufs Neue sagen und schreiben müssen.

Das frühe Bad im Fluss ist eine Wohltat. Das Sonnenlicht wird vom Wasser auf Bäume und Büsche geworfen und erzeugt dort auf den Blättern ein faszinierendes Irisieren.

Auf dem Markt sind bei den Händlern meines Vertrauens keine Radieschen zu bekommen. Die erste Aussaat ist im Dauerregen ersoffen und verfault, die zweite ist noch nicht erntereif braucht noch eine Weile. Ein Radieschen-Interregnum, könnte man mit Antonio Gramsci sagen.

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Beim Frühstück teilen wir uns die Zeitungen auf. U bevorzugt die lokale Tageszeitung, ich darf schon mal in der Süddeutschen blättern. Im Feuilleton der Wochenendausgabe (10./11. Juni 2023) stoße ich auf einen Artikel des fabelhaften Volker Weiß über neue Tendenzen in der Verschwörungsszene. Ich kenne und schätze Volker Weiß, seit ich sein Buch Die autoritäre Revolte gelesen habe, in dem er sich gründlich mit der Neuen Rechten auseinandersetzt. Die AfD-Frau Beatrix von Storch ist vor Kurzem in der Jungen Freiheit mit einem Artikel in Erscheinung getreten, in dem sie die „globale Finanzindustrie“ als Treiber von Klimaschutzmaßnahmen entlarvt. Es existiere ein „mächtiges globales Netzwerk von Profiteuren und Lenkern der Klimapolitik“. Ziel sei es, unter dem Deckmantel des Klimaschutzes Zugriff auf das Volksvermögen zu bekommen und auf diesem Weg die „größte Vermögensumverteilung der Geschichte“ einzuleiten. Storch wendet sich unter dem Einfluss amerikanischer Debatten gegen einen „woken Kapitalismus“ und bedient sich einer antikapitalistischen Rhetorik, wie es gewisse Teile der Weimarer Rechten auch bereits getan hatten. Sie steigt auf das Verschwörungsnarrativ vom Great Reset auf, dem vermeintlichen Masterplan hinter all den zeitgenössischen Ärgernissen: Flüchtlingsansturm, Corona und Klimaschutz. Jetzt nähern wir uns dem Moment, in dem der Elefant das Wasser lässt und die Frage gestellt und beantwortet wird: Wer steckt hinter alldem, wer zieht die Fäden, wer steuert die Marionetten, die auf der Bühne sichtbar sind? Die vom kapitalistischen Fortschritt erzeugten tektonischen Beben, sagt Weiß, „werden nicht den gesellschaftlichen und historischen Prozessen, sondern Gegenfiguren zugeschrieben, deren Ähnlichkeit mit den antisemitischen Zerrbildern kaum zu übersehen ist.“ Was man früher unverblümt „Jude“ nannte, wird heute als „Globalist“ umschrieben. Kapitalkonzentration und Konkurrenz werden personalisiert und als George Soros und Blackrock-Chef Larry Fink identifiziert. Hinter all den woken Universitäten, der Lügenpresse und der Geschichten von der Klimakrise steckt die „globale Finanzindustrie“, was nur ein anderer Name für „die Juden“ ist. Statt nun aber schallendes Gelächter auszulösen, wie es nach Weiß angemessen wäre, finden solche Thesen einen erstaunlichen gesellschaftlichen Widerhall: „Längst existieren Milieus, die das früher nur Geraunte begierig aufnehmen und lautstark weiterverbreiten. Mit der AfD steht eine Partei bereit, all das voranzutreiben und politisch auszubeuten, selbst von finanzstarken Förderern, Kampagnen- und Fundraising-Netzwerken unterstützt. Schamloser hat selten jemand ‚Haltet den Dieb‘ gerufen“ – und, setze ich hinzu, den wahren Dieb entkommen lassen.

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„Wenn wir zum Krieg rüsten, werden wir Krieg haben.“

(Bertolt Brecht)

Ab heute wird für uns Bürger der Bundesrepublik der Krieg etwas aus der Abstraktion gerissen, in die er nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem vermeintlichen Ende das Kalten Krieges verschoben worden ist. Zum Alltagssound meiner Kindheit gehören die Düsenjäger, die über unsere Köpfe hinwegrasten und gelegentlich mit einem ohrenbetäubenden Knall die Schallmauer durchbrachen. Sie waren ein ständige akustische Erinnerung an die Möglichkeit des Krieges, der noch gar nicht so lang zurück lag und der jederzeit erneut aufflammen könnte. Die sogenannte Zonengrenze war nicht weit entfernt und hinter dieser lag „der Russe auf der Lauer“. Alle jungen Männer wurden zum Wehrdienst eingezogen, der anfangs noch 18 Monate dauerte. Um ihn herumzukommen, wurde für uns eine zu erlernende Kunst. Die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 2011 hat zum Verschwinden des Krieges aus unserem Alltag beigetragen. Soldaten schienen nun ferne und vor allem freiwillige Beamte der Abschreckung zu sein, niemand rechnete im Ernst damit, dass sie noch einmal in einer Krieg ziehen würden. Zumindest akustisch werden die Flugzeuge, die ab heute über unseren Köpfen den Ernstfall proben, die Möglichkeit des Krieges in unseren Alltag zurückholen und ihn unserer Erfahrung wieder etwas zugänglich machen. Die russische Artillerie, die seit über einem Jahr die Ukraine verwüstet, ist ja für uns nicht hörbar – oder nur medial vermittel. Die Nato-Übung Air Defender 23 dient unter anderem auch dem Zweck, den Krieg in unseren Alltag zurückzuholen und als reale Möglichkeit erfahrbar zu machen. Darin liegt für mich der Schrecken des heutigen Manövers. Ich fürchte, dass Tschechow recht hatte, als er sagte: „Wenn im ersten Akt ein Gewehr an der Wand hängt, dann wird es im letzten Akt abgefeuert.“ Anders gesagt: Man braucht kein Gewehr auf die Bühne zu bringen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuss daraus abzugeben.

Unsere/meine Lage ist deswegen beschissen, weil es keine klaren und richtigen Entscheidungen gibt. Wie man sich entscheidet, ist es falsch – oder mindestens, im emphatischen Sinn, nicht richtig.

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Eine Studie der Organisation Plan International hat ergeben, dass ein Drittel der jungen Männer in Deutschland es in Ordnung findet, wenn wenn ihnen im Streit mit der Partnerin gelegentlich „die Hand ausrutscht“. 34 Prozent geben an, gegenüber Frauen „schon mal handgreiflich“ zu werden, um ihnen Respekt einzuflößen, heißt es weiter. Wenn die Ergebnisse richtig sind, und es gibt wenig Grund, an ihnen zu zweifeln, gehören diese Befunde zu den subjektiven Bedingungen der Möglichkeit des Rechtsrucks, der das Land erfasst hat und der unter anderem von diesen Männern getragen wird.

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Gestern habe ich mich mit meinem Freund R an der Lahn getroffen. Zunächst durften wir miterleben, wie vier junge Leute zwei Kanus startklar zu machen versuchten. Wozu routinierte Kanuten zehn Minuten bräuchten, dafür benötigten unsere Studi-Greenhorns eineinhalb Stunden. Zwischendurch sanken sie erschöpft in die Wiese und löffelten Müsli aus Tupperdosen. Irgendwann war alles einigermaßen in und auf den Booten verstaut und sie legten ab. Ob sie Limburg jemals erreichen werden, wie sie es fürs Ende der Woche ins Auge gefasst haben, ist fraglich. Nun kehrte endlich Ruhe ein am Steg. R berichtete vom Tod seiner Tochter, die vor ein paar Wochen gestorben ist. Sie hat einen knapp zweijährigen Sohn hinterlassen, der nun von seinem Vater und den Großeltern betreut wird, zu denen auch R gehört. Gegen Mittag stiegen wir zum italienischen Restaurant hinauf und tranken Kaffee. Wir waren die einzigen Gäste und konnten ungestört weiterreden. R sitzt für die Linken in einem regionalen Parlament und berichtete, dass sich auch bei ihm langsam Resignation breitmache. Diese Wahlperiode werde er noch durchhalten, dann werde er sich von dieser Form der politischen Arbeit zurückziehen. Irgendwann bestieg R sein Rad und machte sich auf den Heimweg.

Ich blieb noch und setzte mich auf den Steg. Plötzlich wurde ich von einer tiefen Traurigkeit erfasst. Die Erzählung über Rs Enkel hatte mich in meine eigene Vergangenheit katapultiert und den Bodensatz meiner Grundtraurigkeit aufgewirbelt. Sie hat an die Verdrängung gerührt, in die ich die schmerzhaften Erinnerungen immer aufs Neue zu verbannen versuche. Ich war geringfügig älter gewesen, als meine Mutter starb und konnte mich in dieses Kind einigermaßen einfühlen. Auf einmal war ich wieder das kleine verlassene Kind, das sich keinen Reim auf den Verlust machen konnte und nur die Abwesenheit spürte. Der Tod meiner Mutter hatte mich meiner Rechtfertigung beraubt. Ich habe mein Leben damit zugebracht, mir eine neue zu erfinden. Ich hockte auf dem Steg und starrte auf den Fluss, der träge dahinfloss. Kleine Blätter trieben auf der Oberfläche. Gegenüber stand ein Graureiher am Ufer – still und stumm. Ab und zu putzte er sich das Gefieder, ansonsten starrte er vor sich hin, wie ich. Plötzlich kam Leben in ihn und er begann zu jagen. Er stieß mit dem Schnabel ins Wasser und würgte, wenn er Erfolg hatte, einen kleinen Fisch hinunter. Nach einer Weile hatte er genug, flog ein paar Meter weiter und ließ sich auf einem ins Wasser gestürzten Baum nieder. Für Fisch interessierte er sich einstweilen nicht mehr. Kanus, die vor ihm entlangfuhren, nahm er mit stoischer Ruhe zur Kenntnis. Er sonnte sich und reinigte sein Gefieder. Ich fragte mich, ob er mich genauso wahrnahm, wie ich ihn. Ich schwamm eine Runde durch den Fluss und winkte dem Reiher zu, als ich in seine Nähe kam. Zurück auf dem Steg, nahm ich Mühsams Erinnerungen zur Hand und las weiter seinen Bericht über die Münchner Boheme. Schwärme winziger Fische zogen unter meinen Füßen vorüber. Eine Geschichte fiel mir ein, die David Foster Wallace seinen Literaturstudenten mal erzählt hat. Zwei Jungfische schwimmen so vor sich hin und begegnen einem älteren Fisch, der in der Gegenrichtung unterwegs ist. Er nickt den Jungspunden zu und sagt: „Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?“ Die zwei jungen Fische schwimmen eine Weile weiter. Schließlich wirft der eine dem anderen einen Blick zu uns sagt: „Was zum Teufel ist Wasser?“

Die Pointe dieser kleinen Parabel besteht darin, dass es oft die offensichtlichsten, naheliegendsten und allgegenwärtigen Tatsachen sind, dir wir nicht wahrnehmen. Das Wasser, das uns umgibt, die Luft, die wir atmen, die Menschen, die uns alltäglich begleiten und die uns lieben. Ein Foto von David Foster Wallace hängt an einem meiner Bücherregale. Er trägt auf ihm ein Tuch um den Kopf gewickelt, das wie ein Kopfverband aussieht, der ihn zusammenhalten und sein Ich am Bersten hindern soll. Am 12. September ist es fünfzehn Jahre her, dass er sich erhängt hat. Der Berstschutz hatte nicht mehr funktioniert. Sein Vater äußerte in einem Interview seine Verwunderung darüber, dass sein Sohn bei dessen praktischer Begabung den Henkerknoten hinbekommen habe. Mein Lieblingsbuch von DFW ist eine Art Reportage über eine Kreuzfahrt in der Karibik, die auf Deutsch unter dem Titel Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich bei Goldmann als Taschenbuch erschienen ist. Es ist der Bericht aus einer der vielen Vorhöllen, die die Gegenwart für uns bereit hält. Ein Spaß- und Amüsierterror sondergleichen, eine kollektive Regression in einen Intrauterinen Zustand vollkommener Unmündigkeit und Versorgung. Grandios seine Bemerkungen zur „Pandemie des Service-Lächelns“, bei dem nur die Mundpartie grimassierend bewegt wird und die Augen kalt und unbeteiligt bleiben. Wallace hat diese Kreuzfahrt nur schreibend überleben können, und durch seine flüchtige Verliebtheit in Petra, die aus Litauen stammende hübsche Mitarbeiterin des „Serviceteams“, die seine Kabine derart dezent säuberte, dass er sie zu seinem Bedauern nur selten zu sehen bekam. Dieses Werk gibt es auch als Hörbuch, kongenial eingelesen von Dietmar Bär.

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Eine asiatisch aussehende Frau fährt auf ihrem Rad durch die Fußgängerzone und ruft mit wachsender Panik in der Stimme: „Meine Tasche ist weg, hat jemand meine Tasche gesehen?“

Ein Baby, das in einem Tragetuch umhergetragen wird, hat einen Schluckauf. Die Mutter versucht, durch eine sanftes Klopfen auf den Rücken Abhilfe zu schaffen. Das hohe, piepsige Schlicksen des Kindes ist noch eine Weile hörbar, bis es Teil des städtischen Grundrauschens wird.

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„Nur eine Nation kann Krieg führen – im modernen Sinn –, und ich mag keine Nationen. Ich glaube ans Wegrennen. So wie man beiseite springt, wenn ein Bus kommt.“

(Cormac McCarthy)

Cormac McCarthy ist kurz vor seinem 90 Geburtstag gestorben. Er ist einer der wenigen Autoren, die man liest, wenn man sie denn liest, aber nicht kennt, wie man Philip Roth oder Charles Bukowski kannte oder den vergleichsweise redseligen und marktgängigen T. C. Boyle kennt. Er ging nicht auf Lesereisen, signierte nicht stundenlang Bücher, ließ sich nicht für Illustrierte ablichten, tingelte nicht durch die Fernsehanstalten und Talkshows. Er war geheimnisumwittert, wie Thomas Pynchon oder J.D. Salinger, die auch persönlich kaum jemand kannte. Immerhin existieren einige Photos von McCarthy, die einen unauffälligen, beinahe unscheinbaren Mann zeigen. Seine Bücher haben es in sich und sind nicht jedermanns Sache. Ich kenne ihn, seit sein Roman Die Abendröte im Westen auf Deutsch erschienen ist, also seit Mitte der 1990er Jahre. Ein Butzbacher Gefangener hatte mich, wenn ich mich recht erinnere, auf McCarthy hingewiesen. Sein Lieblingsroman von McCarthy ist der Roman Die Straße. Ein Mann und sein kleiner Junge schleppen sich durch ein verbranntes, postapokalyptisches und entvölkertes Amerika – dem endgültigen Weltuntergang entgegen.

Die Abendröte im Westen ist, wenn man so will, ein schräger Western und erzählt die Geschichte eines halbwüchsigen Jungen, der weder lesen noch schreiben kann und einen Hang zu sinnloser Gewalt hat. Ein stetig wiederkehrendes Thema von McCarthy, und damit bewegte er sich auf der Höhe der Zeit und ihrer Gewaltwirklichkeit. Menschen werden Opfer von Gewalt ,und die Überfallenen müssen die Gründe dafür selbst herausfinden. Da sogenannte sinnlose Gewalt auch mein Thema war und ist, war McCarthy für mich immer ein wichtiger und mich faszinierender literarischer Bezugspunkt. Über seinen letzten Roman Stella Maris habe ich in Folge 66 der DHP ein paar Worte verloren, vor allem zum sogenannten Kekulé-Problem. Wie immer war auch das keine leichte Lektüre, aber eine, die der Mühe wert ist. Eine junge Frau, die ein Mathematikgenie ist, will sich suizidieren und landet in der Psychiatrie. Dort begegnet sie einem Psychiater, der es mit ihr aufnehmen kann und will. Ihm liegt etwas an ihr. Der Roman ist eine Art Protokoll ihrer Gespräche. In einem seiner seltenen Interviews hat McCarthy gesagt, es sei ihm immer darum gegangen, nicht arbeiten zu müssen. Wobei natürlich Schreiben auch mit Mühe verbunden, also in gewisser Weise auch Arbeit ist, aber eben keine entfremdete und regelmäßige Lohnarbeit. Mit Chef und in einer Fabrik oder einem Büro. Mindestens in diesem Punkt war McCarthy Anarchist.

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Als ich meine Auto mit frischer TÜV-Plakette abholte, fragte ich, ob es denn für einen 25 Jahre alten Automatik-Passat noch Käufer gebe. Durchaus, sagte Harald. Es gebe eine wachsende Zahl junger Menschen, die einen Führerschein nur für Automatik-Getriebe ausgestellt bekämen. Ein normales Schaltgetriebe würde sie überfordern, gleichzeitig kuppeln und den Schaltknüppel betätigen, das stete Wechselspiel zwischen Gas und Kupplung, wäre zu viel für sie. Am besten wären für die selbstfahrende Autos mit eingebauter Spielkonsole, auf der Autorennen stattfinden. Er wüsste auf Anhieb eine Interessentin aus dem Ort, die händeringend nach einem fahrbereiten Automatik-Auto suche. Das sei meines ja nun erst mal wieder. Ich werde es mir überlegen, einstweilen fahre ich selbst noch ein bisschen mit ihm umher. In den letzten drei Jahren lag die Summe der von meinem Auto zurückgelegten Strecken bei jährlich rund 500 Kilometern. Und dafür zahle ich Steuern, Parkgebühren und im letzten Jahr immerhin eine Tankfüllung.

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„Nur wer zu nichts Bürgerlichem taugt, taugt auch nicht zum Faschisten“.

(Peter Brückner)

In dem Adorno-Text aus dem Jahr 1951 Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda stieß ich auf folgende Passage, deren Aussage nichts an Aktualität eingebüßt hat: „Vielleicht liegt das Geheimnis der faschistischen Propaganda darin, dass sie einfach die Menschen als das nimmt, was sie sind: echte, ihrer Selbständigkeit und Spontaneität weitgehend beraubte Kinder, der heutigen standardisierten Massenkultur – und nicht Ziele aufstellt, deren Verwirklichung ebenso über den psychologischen wie über den gesellschaftlichen Status quo hinausginge. Die faschistische Propaganda braucht nur die bestehende Seelenverfassung für ihre Zwecke zu reproduzieren, sie braucht keine Veränderung hervorzubringen; und die zwanghafte Wiederholung, die eins ihrer Hauptkennzeichen ist, fällt mit der Notwendigkeit dieser andauernden Reproduktion zusammen.“  Sein Freund Leo Löwenthal, auf dessen Studie über rechte Agitatoren in den USA sich Adorno bezog, hatte deren Verfahren als „ungekehrte Psychoanalyse“ bezeichnet. Der faschistische Agitator mobilisiert den psychischen Untergrund so, wie er ihn vorfindet, setzt Vorurteile und Ressentiments einfach in Gang, statt sie über sich selbst aufzuklären und zu bearbeiten, wie es psychoanalytische und aufklärerische Praxis wäre. „Du hast keine Arbeit, die Juden und Ausländer sind schuld daran, dass du keine Arbeit findest!“ Wirkliche Aufklärung hingegen ist anstrengend und setzt komplizierte Bearbeitungsvorgänge voraus. Auch deswegen gerät die Linke in Krisenzeiten oft ins Hintertreffen. Dazu kommt die Sprache der Linken, die phantasielos und hölzern ist. Begriffsgeklapper, Statistiken, Zahlen. Starr und kalt wird das Dogma heruntergeleiert. Wo bleiben die Lust, die Phantasie, der Witz und die Begeisterung? An dieser linken „Unterernährung der Phantasie“ hat sich seit Ernst Blochs Zeiten nichts geändert. Die Linke langweilt und reißt niemanden vom Hocker. Diese Aspekte wären in die gegenwärtige Populismus-Debatte einzubringen, sonst bleibt sie unfruchtbar und geht am Kern der Sache vorbei.

Auch heute wird, wenn von rechtsradikalen Aufmärschen und Versammlungen wie in Erding berichtet wird, stets betont, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen seien „ganz normale Bürger“ und entstammten der „Mitte der Gesellschaft“, als wäre das ein demokratisches Gütesiegel und eine vom Verfassungsgericht ausgestellte Unbedenklichkeitsbescheinigung. Der Faschismus erwächst aus der Normalität der bürgerlichen Ordnung und Lebensweise, ist, wenn man so will, deren übersteigerte Form. Niemand sollte sich also mit diesen Formeln beruhigen. Es gibt keine harmlose bürgerliche Normalität, der „Normale“ ist schon auf dem Weg zum Handlungshilfen des Verbrechens. Adorno sprach in seinem Buch „Negative Dialektik“ im Zusammenhang mit den in Frankfurt vor Gericht stehenden SS-Schergen von Auschwitz, die unterdessen wieder als Ärzte, Kaufleute, Handwerker und vor allem Buchhalter tätig waren, von „Normalungetümen“. Der Faschismus wächst aus der bürgerlichen Normalität hervor und verschwindet dann auch wieder in ihr. Die Akteure wollen hinterher nichts gewusst und schon gar nichts getan haben.

Der durchschnittliche Erwachsene dieser Kultur ist ein Produkt von Wunschvernichtung und verinnerlichter Repression. Immer, wenn ihm außerhalb seiner etwas begegnet, das auf ein Mehr an Freiheit und Glück hindeutet oder das einfach nur anders ist, „geht ihm das Messer in der Tasche auf“. Wilhelm Reich sagte in seiner „Rede an den kleinen Mann“: „Ich sage dir, kleiner Mann: Du hast den Sinn für das Beste in dir verloren. Du hast es erstickt, und du mordest es, wo immer du es in anderen entdeckst, in deinen Kindern, deiner Frau, deinem Mann, deinem Vater und deiner Mutter.“ Der autoritär erzogene und „zur Sau gemachte“ Mensch trägt eine Neigung davon, das, was er selbst unter Schmerzen in sich abtöten und begraben musste, aus sich herauszusetzen und dort am Anderen zu bekämpfen und zu vernichten. Das niedergedrückte und beschädigte Leben brütet über seinen Kompensationen und sinnt auf Rache: „Der da grenzt sich nicht so ein wie ich, der muss weg!“ Das ist der sozialpsychologische Kern des Faschismus – einst und jetzt.

Diese Passage ist mit einiger Ergänzungen am 18. Juni unter dem Titel Zur Sozialpsychologie des Nazis auf Telepolis erschienen.

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Bei der Suche nach einem Buch, dessen Standort in den unendlichen Weiten meiner Regale ich nicht mehr erinnerte, stieß ich zufällig auf ein Buch, von dem ich noch nicht einmal mehr wusste, dass ich es besitze. Es heißt Die Anarchisten – Utopie und Wirklichkeit und stammt vom britischen Historiker Roderick Kedward. Erschienen ist der reich bebilderte Band auf Deutsch im Jahr 1970 in einem Schweizer Verlag. Ich unterbrach die Lektüre der Bücher, mit denen ich gerade befasst war und stürzte mich auf dieses Buch. Es bescherte mir eine Wiederbegegnung mit Proudhon, Bakunin, Malatesta, Kropotkin, Emma Goldman, Rudolf Rocker, dem Pariser Bombenleger Ravachol, den Kommunarden  von Paris, mit dem ukrainischen Archisten Nestor Machno, für den ich große Sympathien hege, den Opfern des Justizmassakers, das auf den Chikagoer Haymarket-Bombenanschlag von 1886 folgte. Nach dem alten Motto: „Ob Wilhelm Tell gelebt hat, weiß man nicht. Aber dass er den Landvogt Gessler umgebracht hat, steht fest“, nahm die Polizei sieben Anarchisten fest und klagte sie des Mordes an. Vier von ihnen, meist deutsche Einwanderer, wurden gehängt. Man begriff den Anarchismus als eine eingeschleppte Seuche, gegen die energisch vorgegangen werden musste. „Ich wurde in diesem Saal als Mörder angeklagt und des Anarchismus für schuldig befunden“, kommentierte der Angeklagte Engel. In Erinnerung an diesen Justizmord begeht die Arbeiterbewegung bis heute den 1. Mai. Der Band präsentiert nicht nur Potraits von Anarchisten und Anarchistinnen, sondern zwischendurch auch soziologische Befunde zur Zusammensetzung und Herkunft der Anarchisten. Sie waren meist Handwerker, die von der Mechanisierung bedroht waren, oder Kleinbauern, die ihr Land an Großgrundbesitzer zu verlieren drohten. Es waren Individualisten und eigensinnige Typen, mit denen kein Staat zu machen war, und die sich allenfalls locker und auf freiwilliger Basis assoziierten. Das markierte ihre Schwäche und Stärke zugleich. Heute, da der herkömmliche Klassenkampf und die auf ihm basierenden politischen Konzepte in die Krise gekommen sind, könnte der Anarchismus eine ungeahnte Aktualität gewinnen. Dutschke, Krahl und Marcuse haben das in den 1960 Jahren bereits gesehen und der Linken eine gründliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des Anarchismus und seinen Theoretikern angeraten. Die hat, bis auf wenige Ausnahmen, nicht stattgefunden und steht bis heute aus. Ich habe diese im dritten Band meiner Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus, die im Jahr 2018 unter dem Titel Zwischen Anarchismus und Populismus erschienen ist, wenigsten mal begonnen. Von den 1.000 Exemplaren, die wir damals drucken ließen, sind fünf Jahre später beim Prolit-Buchvertrieb immer noch rund einhundert Exemplare auf Lager. Dieser grandiose Verkaufserfolg hat mit dazu beigetragen, dass ich den Entschluss gefasst habe, keine Bücher mehr zu schreiben und zu veröffentlichen. Es ist schlicht nicht die Mühe wert.

Roderick Kedward ist übrigens im Alter von 86 Jahren am 29. April diesen Jahres gestorben. Ein Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit war der französische Widerstand gegen Nazi-Deutschland. Noch ein Argument, sich seiner zu erinnern.

Rudolf Rocker, Johann Most und Emma Goldman kann man auch in Nummer 3 der DHP begegnen, die 2020 unter dem Titel Von August Bebel zu Sigmar Gabriel erschienen ist.

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Bei Zygmunt Bauman bin ich vor Jahren auf einen Satz gestoßen, den er in einem seiner vielen Bücher zitiert hat und der mir immer noch gelegentlich durch den Kopf geht. Er lautet: „Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte sahen unsere Vorfahren an einem normalen Tag nur Menschen, die sie schon ihr Leben lang kannten.“ Alle ihre Lebensmittel, ihre Kleidung und ihre Werkzeuge, die sie benutzten, waren von solchen Menschen hergestellt worden. Auf dieser Basis war kein Betrug und kein Wucher möglich. Jeder kannte jeden, und wen man heute übers Ohr gehauen hatte, dem begegnete man am nächsten Tag wieder. Es herrschte das, was Edward P. Thompson als „moralische Ökonomie“ beschrieben hat. Die Menschen hatten einen Begriff vom Wert der Dinge und davon, was ein „gerechter Preis“ ist. Die Überwindung der „moralischen“ zugunsten der „politischen Ökonomie“ des Kapitals liegt ungefähr 200 Jahren zurück und dennoch kommt es uns so vor, als läge eine Ewigkeit zwischen diesen verschiedenen Welten. Der von Bauman zitierte Satz fällt mir oft ein, wenn ich durch unsere Fußgängerzone gehe und mir nur Menschen begegnen, die ich noch nie gesehen habe, von denen ich keinen einzigen kenne und deren Sprache ich nicht verstehe. Ich frage mich dann, wie viel kulturelle Heterogenität eine Gesellschaft eigentlich verträgt, und vor allem ihre Bewohner aushalten können. Bindungslosigkeit ist zur sozialpsychologischen Signatur des Zeitalters geworden – mit gravierenden Folgen für unser aller Alltag. Niemand fühlt sich für nichts mehr verantwortlich, die Kategorie des Gemeinwohls verblasst und stirbt ab. Indifferenz und Rücksichtslosigkeit breiten sich aus. Wohlgemerkt: Das ist nicht das Resultat einer mysteriösen „Verrohung“, sondern der Tatsache, dass wir ins Nirwana des Geldes eingetreten sind und dem Geld alles egal ist. Werte existieren nur noch an der Börse und in Sonntagsreden von Politikern, die durch ihre wochentägliche Praxis an ihrem Niedergang mitwirken. Der inzwischen verstorbene englische Künstler und Schriftsteller John Berger hat den Begriff der „Ethizide“ geprägt. „Es sind also nicht nur Tier- und Pflanzenarten, die heute vernichtet werden oder vom Aussterben bedroht sind, sondern Stück für Stück auch unsere menschliche Werteordnung. Sie wird systematisch besprüht – nicht mit Pestiziden, sondern mit Ethiziden – Wirkstoffen, die die Ethik und damit auch jeden Sinn für Geschichte und Gerechtigkeit töten. Vorrangig bekämpft werden diejenigen unserer Werte, die sich aus dem Bedürfnis entwickelt haben, aufeinander zuzugehen, etwas weiterzugeben, zu trösten, zu trauern und zu hoffen. Die Massenmedien versprühen diese Ethizide Tag und Nacht.“ Die tagtäglich massenhaft versprühten Ethizide untergraben äußerst wirkungsvoll die Voraussetzungen der Demokratie und trocknen deren subjektiven Voraussetzungen aus.

Die Bauman-Episode hat aus dem Meer meiner versunkenen Erinnerungen noch eine andere Geschichte an die Oberfläche treten lassen. In einer vor Jahren von Arte ausgestrahlten Dokumentation Nicht länger nichts – Die Geschichte der Arbeiterbewegung erzählte ein italienischer Historiker vom Anthropologen Ernesto de Martino, der sich Mitte des 20. Jahrhunderts zu Studienzwecken in Kalabrien aufhielt. Einmal habe der im Auto einen Bauern mitgenommen, um sich von diesem den Weg zeigen zu lassen. Als der Bauer nach ein paar Kilometern Fahrt merkte, dass der Kirchturm seines Dorfes nicht mehr zu sehen war, geriet er in Panik. Sein ganzes Leben lang war dieser Kirchturm verlässlich dagewesen und nie aus seinem Blickfeld verschwunden. Er brauchte nur den Blick von der Forke, mit der er gerade etwas ausgrub, und über über den Rand des Feldes zu heben, schon hatte er ihn im Blick und er wusste, wo er war und wie es weiterging.

Für den interviewten Historiker war der verschwundene Kirchturm auch eine Metapher: Heute ist überall und für uns alle der Kirchturm verschwunden! Für den einen war es die Sowjetunion, für einen anderen die kommunistische oder sozialdemokratische Partei, für andere die Fabrik und die Gewerkschaft. Der Kirchturm ist weg und damit der Mittelpunkt und das Metronom des Lebens. Der Kirchturm war von überall her sichtbar und bot Orientierung. Wer die Orientierung verliert, gerät leicht in Panik. Die Leute suchen nach einer neuen Ausrichtung ihres Lebens und finden sie bei der Rechten, die ihnen die Wiedererrichtung der Kirchtürme und die Wiederkehr der Orientierung in Aussicht stellt. Alles soll wieder so werden, wie es einmal war – oder vermeintlich war. Die Linke hat dergleichen nicht zu bieten. Sie ist woke und digital und gehört so zu jenem Teil der Welt, den die Leute mit dem Verschwinden der Kirchtürme in Zusammenhang bringen.

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Ein kleines eritreisches Mädchen ging mit ihrem Vater durch die Fußgängerzone. Sie hatte ein Eis in einem Becher bekommen. Diesen hielt sie in der einen Hand, mit der anderen klammerte es sich an das Hemd des Papas, das sie nicht loszulassen wagte. Dieser Griff verschaffte ihr Halt und Sicherheit im einer ihr fremden und sichtlich unheimlichen Umgebung. Sie befand sich also in einer Klemme und konnte ihr Eis nicht essen. Dazu hätte sie beide Hände frei haben müssen. Der Vater war ein einfühlsamer Vater und bemerkte das Dilemma seiner Tochter. Er setzte sich mit ihr auf eine Bank. Sie lehnte sich an ihn. So hatte sie den offenbar wichtigen und Sicherheit vermittelnden Körperkontakt zum Vater und dennoch die Hände frei. Endlich konnte sie ihr Eis löffeln, bevor es in der sommerlichen Hitze schmolz. Ein Vater ohne Smartphone, der ganz bei seinem Kind war. Ein leider selten gewordener Anblick, beinahe ein Ereignis.

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Auf dem Kundenparkplatz eines Blumengeschäfts in meiner Nachbarschaft hatte jemand seinen fetten Porsche abgestellt. Er war nicht im Geringsten am Kauf von Blumen interessiert, sondern wollte einmal die Fußgängerzone hoch und runter schlendern und vor allem seinen Kumpels sein Auto vorführen. Als er endlich zurückkehrte – glatzköpfig, stiernackig, eine protzige Goldkette um den Hals – sprach die Blumenhändlerin ihn an: „Sie stehen auf meinem Kundenparkplatz, für den ich Gebühren an die Stadt zahlen muss.“ Statt sich zu entschuldigen und einen großen Blumenstrauß zu kaufen, grinste er nur blöd, telefonierte noch eine Weile, stieg dann endlich ein und fuhr ohne ein weiteres Wort davon. „Was soll man da sagen?“, fragte die Blumenhändlerin resigniert.

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In der Fußgängerzone saß ein junger Mann und zog Hautfetzen von seinen blanken Füßen. Er schnepperte sie vor sich auf den Boden oder schmierte sie an die Bank, auf der er saß. Die Leute machten einen großen Bogen um ihn, nicht nur wegen der Hautfetzen, sondern auch wegen des Geruchs, den seine Füße verströmten. Solche heißen Tage sind schon ohne solchen Fußgeruch eine olfaktorische Katastrophe.

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Vom Schreibtisch aus hörte ich den schrillen Schmerzensschrei einer Frau und das Scheppern von Metall auf Asphalt. Ich trat auf den Balkon und sah, dass eine Frau mit ihrem Fahrrad gestürzt war. Sie lag mitten auf der Straße stöhnend auf dem Rücken. Eine größere Menschenmenge hatte sich um sie herum gebildet und man kümmerten sich um sie. Ein hitziger Disput entbrannte zwischen Zeugen des Geschehens und einer Autofahrerin, die offenbar durch das plötzliche Öffnen der Tür ihres Wagens die Radfahrerin zu Fall gebracht hatte. Ich hörte meinen absoluten Lieblingssatz in solchen Situationen: „Das war doch keine Absicht!“ Das wäre ja auch noch schöner. Es wurde lauter und hitziger, denn der Unfall hatte sich in einer sogenannten Fahrradstraße ereignet, wo eigentlich eine gesteigerte Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme der Autofahrer gefordert ist. Ein Rettungswagen kam und nahm die verunfallte Frau mit. Ihr verbeultes und ramponiertes Rad wurde einstweilen in einem der Nachbarhäuser untergestellt.

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Ein junger, wahrscheinlich aus Rumänien stammender, Bettler geht seit Wochen mit einem Becher auf Passanten zu und bittet um eine Spende. Da er freundlich wirkt, ein einnehmendes Äußeres hat und beinahe noch ein Kind ist, geben ihm viele Leute etwas. Einmal erlebte ich, wie sich eine ältere Dame entschuldigte, sie könne ihm leider nichts geben, weil sie ihr Portemonnaie nicht dabei habe. Sie werde das bei nächster Gelegenheit nachholen. Vor ein paar Tagen sah ich, wie er die Beute zu einem dieser Bubble-Tea-Läden trug und sich diese süße Plörre kaufte und einverleibte. Das zeigte nochmal, dass er ein Kind ist, das fehlende Zuwendung durch Konsum von Zuckerwasser zu kompensieren versucht. Darauf basiert ja das Geschäftsmodell all dieser Donuts- und Bubble-Tea-Läden, die seit einiger Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen. Sie schlagen ihren Profit aus der grassierenden Lieblosigkeit und der synthetischen Nachproduktion von Wärme, die in der Folge von Zuckerkonsum entsteht oder besser: simuliert wird.

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Eben entdeckte ich im öffentlichen Bücherschrank ein Buch von Erich Loest, das Fallhöhe heißt. Ein etwas makabrer Titel, wenn man bedenkt, dass Erich Loest sich im Jahr 2013 aus dem zweiten Stock des Universitätsklinikums Leipzig stürzte. Hoffentlich verhindert ein neues Gesetz zur Sterbehilfe, dass Menschen sich in ihrer Verzweiflung vor den Zug werfen oder aus dem Fenster stürzen müssen. Dieses Buch stammt aus den frühen 1990er Jahren und beginnt so: „Das ist ein Bericht aus der Zeit, da der letzte europäische Krieg ein halbes Jahrhundert zurücklag und niemand einen neuen für möglich hielt. Die Todesstrafe in den Deutschländern war abgeschafft, Minen und Kugelschleudern bedrohten das Leben an ihren Nähten nicht mehr; manchmal schossen die Grenzwächter absichtlich vorbei. In dieser Ära gelüstete es nur ganz wenige Deutsche nach kriegerischem Ruhm oder dem Heldentod, der Fortpflanzungstrieb war auf sein historisch tiefstes Niveau gesunken. Über allem stand durch keine Moral gebremste Geldgier. In Deutschland wurde weder gefoltert noch gebrandschatzt, dafür wie wild gestohlen und unterschlagen. Einige wenige trieb der Zorn nach vorn, wo vieles andere schal dahintrieb. Die meisten konnten nicht einmal mehr wütend sein. Das ist die Geschichte des Henning Köhler, der sich zum Zorn zwingen musste, um einem Zustand zu entfliehen, den er wie einen Sarg empfand.“

Mich hat dieser Roman-Auftakt neugierig gemacht und ich nehme das Buch jetzt mit an die Lahn und werde dort weiterlesen. Erich Loest ist einer meiner zahlreichen literarischen Heroen, seine Bücher nehmen bei mir ein halbes Regalbrett ein. Dieses hier war mir bisher entgangen und ist mir also unbekannt. Bereits nach wenigen Seiten stellt die Hauptfigur, ein gewisser Henning Köhler, einem Verlag ein Buchprojekt vor, das schon monatelang auf dem Tisch des Verlagsleiters herumgelegen hatte. Unter anderem geht es in dem Buch um Max Hoelz, einen erzgebirgischen Anarchisten und Bandenführer. Er enteignete nach dem Ersten Weltkrieg in Mitteldeutschland Kapitalisten und beschlagnahmte ihre Villen. Die offizielle  Geschichtsschreibung, auch die linke, hat Hoelz vernachlässigt und totgeschwiegen. Viele werden nicht einmal seinen Namen kennen. Die KPD schloss ihn wegen Disziplinlosigkeit aus und er wandte sich der linkskommunistischen KAPD zu. 1921 wurde er zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Dabei spielte auch der Mord an einem Gutsbesitzer eine Rolle, der Hoelz zur Last gelegt wurde. Später fand sich der eigentliche Täter. Nachdem sich namhafte Intellektuelle wie Dix, Feuchtwanger, Brecht, Heinrich Mann, Arnold Zweig und Einstein für ihn eingesetzt hatten, wurde Max Hoelz 1928 amnestiert. Auch Erich Mühsam beteiligte sich mit einer Broschüre an dem Kampf um „Gerechtigkeit für Max Hoelz“. Sie erschien 1926 im Verlag Rote Hilfe Deutschlands in Berlin. Der Verlag Klaus Guhl hat 1976 einen Reprint der Broschüre herausgebracht.

1929 emigrierte Hoelz, der sich zwischenzeitlich wieder der KPD zugewandt hatte, auf Einladung Stalins in die Sowjetunion. Dort kam er 1933 unter mysteriösen Umständen ums Leben. Er soll in einem Nebenfluss der Wolga ertrunken sein. Wer Max Hoelz kennenlernen will, sollte seine während der Jahre im Zuchthaus niedergeschriebene Autobiographie lesen, die 1929 unter dem Titel Vom „Weißen Kreuz“ zur Roten Fahne im Berliner Malik-Verlag erschienen ist. Der SDS-Verlag Neue Kritik hat 1969 einen Reprint veröffentlicht. Hoelz’ Autobiographie war auch Grundlage für den mit ein paar Abstrichen sehenswerten DEFA-Spielfilm Wolz – Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten (1973/74). Wer sich weiter mit Hoelz beschäftigen will, findet wichtige Hinweise in dem von Peter Giersich und Bernd Kramer zusammengestellten und im Karin Kramer Verlag erschienenen Band Max Hoelz – Sein Leben und sein Kampf. Man begegnet ihm auch in dem faszinierenden Buch Der Weg nach unten von Franz Jung, der ein Freund und politischer Weggefährte von Max Hoelz gewesen ist. Hoelz, ein faszinierender Typ und eine wichtige, aber aus der Geschichte herausgeschwiegener Akteur der Arbeiterbewegung und des Anarchismus in Deutschland.

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Die Grünen haben nicht nur der Verschärfung des europäischen Asylrechts zugestimmt, sondern nun als Teil der sogenannten Ampel auch einer „Reform“ des nationalen Klimaschutzgesetzes. In seiner bisherigen Version machte es genaue Vorgaben, wie viel Treibhausgase in einzelnen Sektoren wie Industrie, Verkehr oder Gebäuden pro Jahr eingespart werden müssen. Mit der „Reform“ der Ampelkoalition soll zukünftig die zulässige Gesamtmenge an klimaschädlichen Emissionen entscheidend sein – was eine flexiblere Handhabung ermöglichen soll. Das heißt, man kann tricksen und dringend gebotene Maßnahmen zum Klimaschutz umgehen oder ad calendas graecas vertagen. Solche Reformen kann man, wie weiland die sogenannte Agenda 2010, nur durchsetzen, wenn man die Parteien und Kräfte in den Entscheidungsprozess einbindet, die eigentlich die angestammten Gegner der jeweiligen „Reform“ sein müssten. Wer die Rechte der Arbeiter beschneiden will, nimmt am besten die angestammte Arbeiterpartei in die Pflicht und beteiligt sie am Abbau von lang erkämpften Errungenschaften. Das paralysiert den Protest und befriedet oppositionelle Kräfte nach dem Motto: „Wenn unsere Leute dem zustimmen, kann es so schlimm nicht sein!“ Die Grünen haben sich einmal mehr als Wahrer der Kapitalinteressen bewährt und sich für die Übernahme weiterer Regierungsaufgaben empfohlen. Ob ihre Basis das auf Dauer mitmachen wird, wird sich zeigen. Wahrscheinlich ist, dass es irgendwann zur Gründung einer „wahren“ grünen Partei kommt. Hier in Gießen hat sich diese Spaltung und Neugründung bereits ereignet, ohne dem Mutterschiff nennenswerten Schaden zuzufügen. Als mit dem Anarchismus sympathisierender Mensch kann ich das nur so kommentieren: Wer sich auf bürgerliche Politik und ihre Spielregeln einlässt, kommt darin um. Anpassung ist der Preis, den Gruppierungen und Vereine zahlen müssen, um unterm Kapitalismus aufzublühen. Am Ende hat die von Robert Michels früh analysierte „Soziologie des Parteiwesens“ leider immer recht behalten. Parteien sind Embryonen neuer Staatsapparate und beugen sich über kurz oder lang deren Logik und Regelwerk. „Die soziale Revolution ist keine Parteisache!“, heißt es deswegen beim Rätekommunist Otto Rühle bereits im Jahr 1920. Gestern Abend hörte ich in den Nachrichten, wie sich die EU und das europäische Kapital auf die Übernahme und Einverleibung der Ukraine vorbereiten. Das Kapital wittert neue Märkte und enorme Profite, die sich mit dem Wiederaufbau und dann auch langfristig erzielen lassen. Die EU verspricht, den Wiederaufbau mit Milliarden zu subventionieren und private Investitionen durch staatliche Garantien abzusichern. „Unser Ziel ist es, beim Wiederaufbau einer EU-fähigen Ukraine zu helfen“, sagte Frau Baerbock. „EU-fähig“ heißt so viel wie: Wenn ihr brav eure Hausaufgaben macht, euch an die goldenen Regeln der freien Marktwirtschaft haltet, eure Märkte für unsere Produkte öffnet und die Korruption bekämpft, das heißt auf Normalmaß zurückdrängt, dann werden wir euch helfen und euch irgendwann in den erlauchten Kreis der Europäischen Union aufnehmen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass man sich dafür interessierte, was Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrer Mehrheit wollen und sich für ihre Zukunft wünschen. Sie können offenbar nur wählen zwischen der Scylla des russischen Despotismus und der Charybdis der Diktatur des Geldes und der Märkte. Die von vielen Oppositionellen so ideal imaginierte Demokratie wird sich als die dem hemmungslosen Geldverdienen günstigste Staatsform erweisen. Sie kommen also vom Regen in die Traufe, wobei die Traufe anfangs mit angenehm warmen Wasser gefüllt ist, das dann allerdings im kapitalistischen Alltag gefrieren wird. Die neuen EU-Bürger werden bald zu spüren bekommen, dass die wunderbare Marktwirtschaft ihre kulturellen und zivilisatorischen Potenziale zurückzunehmen  beginnt, von der medizinischen Versorgung bis zur Volksbildung. Wir befinden uns kurz vor einem marktwirtschaftlichen Schiffsuntergang, in den dann auch die kapitalistisch befreite Ukraine mit hineingerissen wird. Selbst das U-Boot, mit dem Milliardäre zum Wrack der Titanic aufgebrochen sind, gilt als verschollen. Die Klopfzeichen gehen ins Leere. Das können wir getrost als Menetekel nehmen.