»Ich fand einen Begriff für jenes Gefühl, das mich seit dem Tod des Bruders gefangen hielt, Einsamkeit. Ich erkannte darin die Krankheit meiner Zeit, die Ursache des Unglücks, das jeder, der ein offenes Herz hatte, empfinden musste. Am Ende war jeder allein, das spürte ich, und ein Ende gab es alle Tage.«
Lukas Bärfuss
Am Samstag (11. Februar 2023) sah ich auf 3sat den Dokumentarfilm Herr Bachmann und seine Klasse, den ich verpasst hatte, als er in der Corona-Zeit im Kino lief. Der Film begleitet den Lehrer Bachmann und seine aus Kindern vieler Länder bunt zusammengewürfelte Klasse 6b durch ein Schuljahr. Das Ganze spielt an der Georg-Büchner-Gesamtschule in Stadtallendorf bei Marburg und ist sehr berührend. Lehrer Bachmann stellt sich als Mensch zur Verfügung und geht das Wagnis von Näheverhältnissen ein. Wirkliche Lern- und Veränderungsprozesse kommen ohne dieses Moment der persönlichen Übertragung und Faszination durch das menschliche Gegenüber nicht zustande. Tätigkeiten wie Heilen, Therapieren und eben auch Lehren haben, wie André Gorz gesagt hat, »auch den Charakter einer Hingabe, genauer gesagt: eines Sich-selbst-Gebens seitens des Therapeuten oder Lehrers«. Das Geld, das er verdient, muss für den Therapeuten oder Lehrer Mittel sein, seinen Beruf ausüben zu können, nicht Zweck. Die Bezahlung kann und darf nicht die entscheidende Motivation sein. Man bekommt für etwas, das einen begeistert, obendrein noch Geld. Nur der, der von dem, was er tut, begeistert ist, kann auch andere begeistern. Lehrer Bachmann ist ein begeisterter Lehrer, ihm liegt etwas an seinen Schülern, er arbeitet nicht pflichtgemäß ein Curriculum ab. Er verhält sich seinen Schülern gegenüber nicht pädagogisch, sondern menschlich, und kann ihnen gerade deswegen etwas vermitteln. Dieter Bachmann jongliert oder musiziert und isst mit seinen Schülern. Das ist eine menschliche Haltung, die eine Universität nicht lehren und der Lehrplan nicht verordnen kann. Man hat es, oder man hat es eben nicht. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer haben es leider nicht. Ihnen ist im grauen Schulalltag die Freude auf den nächsten Tag und auf das Zusammensein mit ihrer Schülern abhanden gekommen. Deswegen können sie ihren Schülern auch kaum etwas beibringen. Die Institution Schule und die damit verbundenen bürokratischen Verpflichtungen haben manchen einst hoch motivierten Lehrerinnen und Lehrern die Freude am Unterrichten und am Zusammensein mit den Kindern ausgetrieben. Oskar Negt und Alexander Kluge haben in ihrem Buch Geschichte und Eigensinn folgende Episode erzählt: »In einem Vortrag vor Behavioristen in den USA erläuterte Jean Piaget den Satz: ›Wenn Sie das Kind etwas lehren, so hindern Sie es daran, es selber zu entdecken, Sie stiften Schaden.‹ In der Diskussion sagte daraufhin ein Behaviorist: ›Es fällt mir wie Schuppen von den Augen. Meine Frage: Wie kann man diesen Vorgang beschleunigen?‹ Hierauf lacht Piaget. Er antwortet nicht.«
Gedreht hat Maria Speth ihren Film bereits im Jahr 2017, am Ende des dokumentierten Schuljahrs beendete Lehrer Bachmann seine Lehrtätigkeit. Einer wie er ist nicht zu ersetzen und wird eine entsetzliche Lücke hinterlassen.
Bis zum 6. März bietet die 3sat-Mediathek den Film noch an, den ich euch dringend empfehle: https://www.3sat.de/film/dokumentarfilm/herr-bachmann-und-seine-klasse-100.html
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Erst anlässlich seines Todes am 4. Februar 2023 erfuhr ich, dass der große Theatermacher Jürgen Flimm am 17. Juli 1941 in Gießen geboren worden ist. Was seine Eltern hierher verschlagen hatte, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Vermutlich waren es die Kriegswirren und die einsetzenden Bombardierungen deutscher Städte, die die Familie in Gießen stranden ließen. Zu seinem Glück zog die Familie bald weiter nach Köln, wo er die Schule besuchte und in einem kulturell anregenderen Milieu aufwuchs als es Gießen hätte sein können. Gestorben ist er am 4. Februar 2023 im Alter von 81 Jahren in Hamelwörden nordwestlich von Hamburg.
Wo ich gerade beim Thema Tod gelandet bin: Gestern sah ich, dass der Magistrat der Stadt Gießen und die Universität zum 100. Todestag von Wilhelm Conrad Röntgen am 10. Februar 2023 zwei hässliche Kränze an seinem Grab niedergelegt haben. Einer der Kränze ist beinahe so groß wie die ganze Grabstätte. Röntgen hatte das, was die Inflation von seinem Vermögen übrig gelassen hatte, der Unterstützung von Armeneinrichtungen gewidmet. Insofern wäre ein weniger pompöser Kranz seinem Andenken gemäßer gewesen. Ich setzte mich eine Weile auf die Bank neben seinem Grab und gedachte seiner. Zögernd näherte sich ein Eichhörnchen, das eine Walnuss aus meiner Hand entgegennahm. Wahrscheinlich hätte es Röntgen gefallen, wenn man an seinem Grab Nüsse und Vogelfutter ausgelegt hätte.
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Anfang der 1990er Jahre verbrachten U und ich einige Wochen im Landhaus von Freunden am Gardasee. Auf dem Rückweg von einer Besteigung des Hausbergs gerieten wir in ein Gewitter. Mitten im Sommer sank die Temperatur schlagartig ab und es begann heftig zu regnen und zu hageln. Wir suchten unter einem Gebüsch am Wegesrand Zuflucht und drängten uns sitzend aneinander – wie Schiffbrüchige, die wir in gewisser Weise beide ja waren und sind. Dies war ein Augenblick größter Nähe und des Glücks. Er blieb einmalig und unwiederholbar. Aber wer ihn jenseits der Kindheit auch nur einmal erlebt hat, zehrt von ihm ein Leben lang. Freud hat diesen Zustand der Verschmelzung und der Aufhebung von Ich- und Körpergrenzen behelfsweise als »ozeanisches Gefühl« gefasst. Ihm selbst blieb dieser psychosenahe Gefühlszustand fremd und ein wenig unheimlich. Er hatte es lieber abgegrenzt und konturiert. Er war ein Verfechter des pincipium individuationis – also des gesellschaftlich geforderten Zwangs, eine einheitliche und abgeschlossene Persönlichkeit und eine darauf beruhende Vernunft vorzuweisen. Das Ziel der Therapie bestand für ihn in der Wiederherstellung der Kontrolle über das triebhafte Geschehen durch das Ich. Dessen Herausbildung aus einem amorphen vor-ichlichen Zustand verglich er mit der Trockenlegung der Zuiderzee, die die Niederländer zu Freuds Lebzeiten betrieben und von der er offensichtlich fasziniert war.
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Alle paar Tage begegnet mir ein Mann, der sich humpelnd durch die Stadt bewegt. Alle paar Meter bleibt er stehen und beugt sich keuchend nach vorn. Ich schätze sein Alter auf Mitte fünfzig, vielleicht sechzig Jahre. Fast immer führt er eine Plastiktüte mit sich. Keine Ahnung, was sich in ihr befindet. Irgendwann begriff ich, dass diese Art der Zurschaustellung eines Leidens seine Form der Kontaktaufnahme, gewissermaßen sein Weltverhältnis, darstellt. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen stehen bleiben und ihn besorgt fragen, ob sie ihm helfen könnten. Ich habe beobachtet, dass er die auf ihn zukommenden Passanten daraufhin durchmustert, wer als Ansprechpartner in Frage kommt. Meist handelt es sich um Frauen mittleren Alters. Hat er eine solche ausgemacht, steigert er die Darstellung seines Leidens, dass es beinahe so aussieht, als erleide er einen Anfall oder stürbe jeden Augenblick. Er kommt dann mit der jeweiligen Dame ins Gespräch. Wenn diese anbietet, einen Rettungswagen zu rufen, wiegelt er ab und sagt: »Nein, nein, den Weg nach Hause schaffe ich schon.« Ich nehme an, dass es sich nicht um eine blanke Inszenierung handelt, sondern dass er lediglich ein klein wenig auf ein durchaus vorhandenes Gebrechen draufgesattelt hat. Diese hysterische Übertreibung scheint einen beträchtlichen sekundären Krankheitsgewinn abzuwerfen, der in menschlicher Aufmerksamkeit besteht, die ihm ansonsten wohl eher nicht zuteil wird. Ich erblicke in den kleinen theatralischen Aufführungen des Mannes eine Folge der Einsamkeit, von der viele alternde Menschen betroffen sind.
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Der Hausmeister des Nachbarhauses schneidet die Hecke im Hof bis auf klägliche Stümpfe zurück. Auf meine Frage, warum er das mache, sagt er, er habe Anweisungen vom Hausbesitzer. Wenn er es nicht mache, verliere er seinen Job. Die abgesägten und -geschnittenen Äste wandern in den Schredder. Die Hecke endet als kleingehäckselter Abfall in einem Plastiksack. Es ist immer dasselbe: Die willfährigen Handlanger und Vollstrecker berufen sich auf einen Befehlsnotstand. Die Wut derer, die sich über das Massaker an der Natur beklagen, geht ins Leere. Die ohnehin immer seltener werdenden Vögel verlieren eines ihrer Refugien in unserer Straße und werden obdachlos. Ich wüsste gern mal die Gründe, die Leute veranlassen, solche Gemetzel zu veranstalten oder anzuordnen. Ist es Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit oder gar Wut auf das Wuchern der Natur? »Triebe stutzen« meine ich schon mehrfach als verschwiegenes Motiv solcher Kahlschlagsaktionen ausgemacht zu haben. Wobei Äußeres in der Regel auf Inneres verweist. Das heißt, es geht um Nachverdrängung, um die Bändigung der eigenen Triebnatur. Das ist eine wirkmächtiges und oft übersehenes Motiv der Naturbeherrschung. Das blindwütige Wüten gegen die Natur, das rastlose Roden und Zubetonieren wurzelt nicht allein in der Jagd nach Profit, sondern auch in diesem Bestreben, die Natur in uns und außerhalb unter Kontrolle zu bringen. Dass sich so etwas rächt, darüber belehren uns die sich häufenden Katastrophen. Wenn man sich denn belehren lassen möchte.
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»Ich bezeichne diese unparteiische Toleranz insofern als ›abstrakt‹ und ›rein‹, als sie davon absieht, sich zu einer Seite zu bekennen – damit schützt sie in Wirklichkeit die bereits etablierte Maschinerie der Diskriminierung.«
Herbert Marcuse
Der Medienkünstler Guido Kühn kommentiert das Friedensmanifest von Schwarzer und Wagenknecht mit einer Karikatur, auf der die beiden die Ukraine auffordern: »Hey Schlampe! Es geht für alle schneller vorbei, wenn du ihm gibst, was er will.« Mit »ihm« ist der russische Präsident Wladimir Putin gemeint, der die Ukraine vergewaltigt. Auf seiner Website erklärt Kühn, Wagenknecht und Schwarzer verlangten von den Opfern des Krieges, sich mit den Tätern zu arrangieren, weil die Folgen des Krieges auch hierzulande zu spüren seien und die Gefahr einer Eskalation drohe. Der Appell an Olaf Scholz, die Ausweitung der Waffenlieferungen zu stoppen, wurde bisher von knapp einer halben Million Menschen unterzeichnet. Die stattliche Zahl von Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen sagt erst einmal nichts über den Wahrheitsgehalt des Appells aus. Spontan leuchtet mir die provokative Replik von Guido Kühn ein. Die Waffenlieferungen des Westens befähigen die Ukraine, sich gegen einen übermächtigen Angreifer einigermaßen zu verteidigen. Aber etwas in mir wehrt sich dagegen, mich in diesem Konflikt auf eine Seite zu schlagen und mich auf die Logik des Krieges einzulassen. Ein mir immer sehr sympathisches jüdisches Sprichwort sagt: Wenn du die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten hast, wähle die dritte! Aber was könnte dieses Dritte sein? Es kann ja auch nicht sein, Putin die Krim und die anderen annektierten Gebiete der Ukraine und die dort lebenden Menschen einfach zu überlassen. Er darf mit seiner Aggression nicht durchkommen, das wäre ein fatales Signal. Das Manifest tut so, als handele es sich um einen aus dem Ruder gelaufenen Konflikt, an dem beide Seiten ihren Anteil haben und den man beenden kann, indem man beide Seiten zur Vernunft ruft. In einem asymmetrischen Gewaltverhältnis, in dem die Gewalt von einer Seite ausgeht und forciert wird, zum Gewaltverzicht aufzurufen, bedeutet de facto, sich auf die Seite des Aggressors zu schlagen, der in diesem Fall auch noch der Überlegene ist. Was hättet ihr denn gesagt, wenn wir früher dazu aufgerufen hätten, keine Waffen an die Vietcong zu liefern, damit die sich gegen die amerikanische Aggression zur Wehr setzen können? Nun gut, ich weiß, der Selenskyj ist nicht Hồ Chí Minh. Es ist nicht mehr so einfach, sich auf eine Seite zu schlagen, aber sollten wir es nicht doch eher mit dem Überfallenen und dem Schwächeren halten? Den Schwächeren zum Niederlegen der Waffen aufzufordern, kommt einer Aufforderung zur Kapitulation und Unterwerfung gleich. Als ich das Manifest heute nochmal gelesen habe, stolperte ich vor allem über folgende Passage: »Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg?« Ist es nicht so gewesen, dass Putin sich im Jahr 2014 die Krim unter den Nagel gerissen hat? Und dass sich die Ukraine allenfalls zurückholen möchte, was zu ihrem Territorium gehört? Das ist schon eine Weile her, aber verjährt ist die Annexion der Krim noch nicht. Dann ist bei der Aufzählung der Kriegsgräuel davon die Rede, dass »Frauen vergewaltigt, Kinder verängstigt wurden«. Sind es nicht in erster Linie ukrainische Frauen und Kinder, die von den russischen Eindringlingen vergewaltigt und verängstigt wurden, sehen wir nicht allabendlich traumatisierte Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor den Trümmern ihrer zerbombten Häuser stehen und ihre toten Angehörigen betrauern? Hier ist einiges verrutscht. Wir sollten schon die Schuldigen beim Namen nennen und nicht so verquast herumreden, bis alles völlig verdreht ist. Friedensappelle sind solange verlogen, wie sie davon absehen, dass die Gewalt von einer Seite ausgeht. Unparteiische Toleranz ist insofern abstrakt, als sie es vermeidet, sich zur Seite des Angegriffenen und Schwächeren zu bekennen. Damit schützt sie in Wirklichkeit die Maschinerie der Unterdrückung. Ich habe unlängst schon einmal daran erinnert, dass gerade wie Deutschen wissen sollten, dass wir unsere Befreiung vom Joch des Faschismus einer entschlossenen militärischen Intervention der Alliierten und ihrem massiven Waffeneinsatz verdanken. Und nicht Appellen, sich mit Hitler ins Benehmen zu setzen und ihn nicht zu reizen. Den Schwachen oder Schwächeren zur Gewaltlosigkeit zu raten, bedeutet de facto, sie der Gewalt des Stärkeren auszuliefern. Das macht den Kern dessen aus, was Herbert Marcuse als »repressive Toleranz« bezeichnet hat. Nach welchen Maßstäben sollten wir unsere Wahl treffen, auf welche Seite wir uns schlagen und mit wem wir es halten wollen? Das Kriterium ist das, was lebensbejahend ist, was der Entfaltung menschlicher Fähigkeiten, menschlichen Glücks und Friedens dient. Und wenn ich diese Kriterien im Falle des aktuelle tobenden Krieges anwende, fällt mir die Entscheidung trotz meiner grundlegenden Staatsskepsis nicht schwer. Selenskyj mag sein wie er will, besonders blutrünstig scheint er nicht zu sein und im Vergleich zu Putin ist er ein Ausbund an Liberalität. Horribile dictu: Wir kommen nicht umhin, die Ukraine auch durch Waffenlieferungen in die Lage zu versetzen, sich gegen einen übermächtig scheinenden despotischen Aggressor zu verteidigen. Ohne sie gäbe es sie inzwischen wahrscheinlich nicht mehr. Ich denke, all das, was ich hier angedeutet habe, ist in die Karikatur von Guido Kühn eingeflossen, die im ersten Moment schockierend wirkt, was ja auch die Absicht solcher Karikaturen ist. Das ist gute-alte Pardon- und Titanic-Tradition. In der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo hätte sie auch erscheinen können.
Eine Frage zur massenhaften Unterzeichnung des Manifests: Kann es sein, dass viele der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner lediglich ihre Ruhe haben wollen und sich durch den Kriegslärm gestört fühlen? Sie rühren ein behagliches Leben, jeden Monat landet ein mehr oder weniger üppiges Gehalt auf dem Konto, die Regale der Geschäfte sind gut gefüllt. Das ist ja ein Motiv, das man haben kann, aber man sollte dann auch so ehrlich sein, es beim Namen zu nennen. Für Waffenlieferungen einzutreten, sagt Katja Petrowskaja, ist eine Katastrophe, aber es gibt Situationen, in denen es der einzige Weg zu sein scheint, der zum Frieden führt. Man könnte und sollte vielleicht auch verstärkt darüber nachdenken, wie man die Opposition in Russland unterstützen und stärken kann, wie man das mafiöse »System Putin« durch Sabotage und Akte der Verweigerung schwächen und irgendwann auch zu Fall bringen kann. Einen übermächtig erscheinenden Gegner sollte man nicht frontal attackieren, sondern durch kleine Nadelstiche schwächen. Man darf sich von der Macht nicht auf ein Gelände locken lassen, wo sie sich auskennt und ein Heimspiel hat und man garantiert den Kürzeren zieht. Nicht reflexartig das tun, was erwartet wird, sich mal seitwärts in die Büsche schlagen und an einer Stelle wieder auftauchen, wo niemand mit einem rechnet. Sich wie ein Guerrillero verhalten, den Feind nicht frontal angreifen und ihm nicht ins Messer laufen, sondern in die Flanken fallen. Das könnte eine Strategie des Widerstands sein. Die Herrschenden wollen, dass man sie frontal angreift, den Gefallen darf man ihnen nicht tun. Man muss listig sein und von Seiten kommen, die der Gegner nicht erwartet. Die Gefahr ist immer virulent, dass man sich an dem Gegner ansteckt, den man bekämpft. Man wird ihm ähnlich. Eh man sich’s versieht, trägt man seine Züge.
Statt anderen Ratschläge zu erteilen, sollten wir uns lieber auf den Rat besinnen, den Che Guevara dem jungen Jean Ziegler gegeben hat: »Vor etlichen Jahren hatten mich Genossen aus Kuba gebeten, Che während einer zehntägigen UNO-Konferenz in Genf als Fahrer zur Seite zu stehen. Am letzten Abend, bevor er abfuhr, waren wir im Hotel in Grand Saconnex, und ich sagte zu ihm, er solle mich mitnehmen nach Kuba, ich wolle mit ihm kämpfen und Teil der Revolution werden. Er reagierte damals sehr kühl, bat mich zu sich ans Fenster, wies auf die Leuchtreklamen der Banken, die man von dort aus sehen kann und sagte: ›Schau auf die Stadt, hier lebst du, hier musst du kämpfen.‹ Er hatte natürlich Recht.«
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»Und doch wird, wer wirklich Lust gefunden, gekannt hat, nie wieder vergessen, dass er von den Früchten des Lebens aß und dass die Frucht über alle Maßen gut war. Er ist für das Töten und Sterben schon fast verloren.«
Peter Brückner
Wir hätten in diesem Sinne dafür zu sorgen, dass in unseren Gesellschaften Frieden einkehrt, der in der Grundstruktur der kapitalistischen Gesellschaft verankerte Krieg aller gegen alle beendet und eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Militär und autoritären Staat entsteht. In einer genossenschaftlich organisierten Produktion träte solidarische Kooperation an die Stelle des Konkurrenzprinzips, das unterm Kapitalismus die menschlichen Beziehungen durchdringt und vergiftet und jeden zum Feind jedes anderen werden lässt. Eine solche Produktionsweise wäre auch die Voraussetzung für einen Friedensschluss mit der Natur, der die Gesellschaften der entfesselten und entbetteten Ökonomie etwa seit 1800 den Krieg erklärt haben und gegen die sie seither mittels Technik, Wissenschaft und Industrie vorgerückt sind und immer weiter vorrücken. Auch und vor allem von dieser Front hätten wir unsere Truppen abzuziehen und die Schützengräben zuzuschütten. Das erst würde Frieden in einem emphatischen Sinn möglich machen. Viele unserer Friedensfreunde ahnen noch nicht einmal etwas von der Existenz dieses Kriegsschauplatzes und sehen keinen Anlass, an unserem Verhältnis zur Natur etwas Grundlegendes zu ändern. Mit ihnen ist unser gemeinsamer Weg nicht allzu lang. Sie waren vor noch nicht allzu langer Zeit Anhänger eines staatlich organisierten Sozialismus, der am System des Industrialismus und seinem Raubbauverhältnis zur Natur nichts ändern wollte.
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In Wilhelm Genazinos Buch Der Traum des Beobachters, das aus dem Nachlass zusammengestellt wurde, stieß ich unter dem Datum des 24. August 1987 auf folgenden Eintrag: »Technik des Schreibens: eine Beobachtung machen, im Augenblick der Ins-Werk-Setzung der Beobachtung die beobachtete Sache schon als Text sehen und sie als Beute (und die Beute als Jux) wegtragen. Deswegen oft gute Laune.« So oder so ähnlich funktioniert das bei mir auch. Ich beobachte unterwegs etwas, und während ich noch beobachte, beginnt bereits der Versuch, die Beobachtung in Sprache zu fassen und festzuhalten. Wie Genazino trage auch ich stets ein kleines Notizbuch bei mir, in dem ich flüchtige Gedanken und Stichworte festhalte. Auch bei mir stellt sich das Gefühl einer kleinen Befriedigung ein, wenn ich »Beute« gemacht habe. Das hat eine kleine zwanghafte Komponente, wie ich gern zugebe: Nichts von Belang darf unbeschrieben liegen bleiben, alles muss sprachlich gefasst und festgehalten, gewissermaßen gebannt werden. Unbearbeitetes Erfahrungsmaterial wirkt als Irritation; es bildet Staubflusen, die sich an den Rändern des Bewusstseins ablagern. Auch Annie Ernaux kennt dieses Phänomen und hat es so beschrieben: »Wenn ich Dinge nicht aufschreibe, sind sie nicht zu ihrem Ende gekommen, sondern wurden nur erlebt.«
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In der Fußgängerzone steht vor einem Laden, der Nudelgerichte anbietet, eine dümmlich grinsende Plastikpuppe, ein sogenannter Aufblas-Grinch, der die Passanten durch eine mechanische Armbewegung zum Eintreten auffordert. Eine widerliche Sumpfblüte des Konsumismus, die aus Amerika zu uns herübergekommen ist. Einer der schlimmsten und gleichzeitig subtilsten Aspekte der Globalisierung ist die fortschreitende Infantilisierung der Menschen. Die Welt: ein einziger globaler Kindergarten voller Spielzeug, Süßkram und technischen Mätzchen. Es existiert eine allgemeine Rückkehr zur Wiege und zur Rassel, die Regression wird zur neuen Lebensweise. Großväter tragen dieselben albernen Kappen wie ihre Enkel und bewegen sich auf Tretrollern fort. Der Erwachsenenstatus wird abgeschafft zugunsten einer ewig währenden Kindheit, die die Menschen für alle möglichen und unmöglichen modischen Trends und Beeinflussungen offen hält. Widerstand ist von solchen Geschöpfen solange nicht zu erwarten, wie das System die Güter liefert. Ein Interesse an ich-starken Menschen, die das aufweisen, was man früher Charakter nannte, hat der konsumistisch verfasste Kapitalismus nicht, weil man solchen Menschen nicht alles andrehen kann und weil sie nicht grenzenlos flexibel sind.
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Nicht weit von hier hat man bei Erweiterungsarbeiten der Gießener Kongresshalle Teile des Kellers der ehemaligen Synagoge freigelegt. Die Nazis hatten auch die Gießener Synagoge im November 1938 angezündet und dem Erdboden gleichgemacht. In den 1990er Jahren wurde auf Betreiben von Thea und Jakob Altaras an anderer Stelle in der Stadt eine neue Synagoge errichtet und dient der Jüdischen Gemeinde seither als Versammlungs- und Gottesdienstort. Schon beim Bau der Kongresshalle Anfang der 1960er Jahre muss man auf die Überreste gestoßen sein, aber im Rausch des Nachkriegswirtschaftswunders war man über diesen Fund hinweggegangen und hatte die Überreste der alten Synagoge einfach wieder zugeschüttet. Von solchen Spuren der gerade erfolgreich verdrängten Vergangenheit wollte man sich nicht aufhalten lassen. Aber es ist wie in einem Gedicht von Brecht, wo die von einem Gefangenen in die Zellenwand geritzte Inschrift trotz aller Bemühungen der Gefängnisleitung, sie zum Verschwinden zu bringen, immer wieder durchschlägt. Die Wiederkehr des Verdrängten hat Sigmund Freud diesen Vorgang genannt, von dem einzelne Menschen und ganze Gesellschaften solange heimgesucht und bedroht werden, wie sie sich den verpönten und verfemten Inhalten nicht stellen und ihnen auf den Grund gehen. Freud selbst hatte ein großes Interesse an den archäologischen Funden seiner Epoche und sah zwischen der Arbeit des Archäologen und des Psychoanalytikers gewisse Analogien. Beim Freilegen des Verschütteten traten beim Psychoanalytiker an die Stelle von Hacke und Spaten die freie Assoziation und die Traumdeutung. Auch Freud suchte unter der Oberfläche nach verborgenen Strukturen und Erinnerungen an traumatische Konstellationen und alte Kränkungen. Er war davon überzeugt, dass das Verdrängte in der Bewegung durchscheint, in der das Subjekt es zu verbergen sucht. Einmal fragte der Vater eines Gefangenen im Gespräch mit seinem Sohn und mir: »Sie meinen, in Hinrichtung auf meinen Sohn?« Unschwer wurden in diesem Versprecher aggressive Regungen des Vaters in Bezug auf seinen Sohn erkennbar. Diese wurden nun Thema und konnten bearbeitet werden, und die beiden fanden zu einem neuen Umgang miteinander. Ohne die Freilegung dieser väterlichen Aggression wäre diese Wendung schwerlich möglich gewesen. Ich hätte auch um des lieben Friedens willen darüber hinweggehen können, aber wir hätten eine Chance vertan.
Diesen Prozess könnten wir uns in der Stadt zum Modell für den Umgang mit den nun zum zweiten Mal freigelegten Grundmauern der Synagoge nehmen. Es eröffnet uns unverhofft eine zweite Chance und wir sollten sie nutzen. »The road not taken«, wie es in einem Gedicht von Robert Frist heißt, nun beim zweiten Anlauf doch noch einzuschlagen. Auch die Gießener haben das sogenannte Dritte Reich mehrheitlich nicht erlitten und geduldet, sondern begeistert begrüßt und mitgemacht. So wird es auch beim Brand der Synagoge gewesen sein. Also nicht erneut zuschütten oder unter Glas verschwinden lassen, sondern auf den wie durch ein Wunder erhalten gebliebenen Mauerresten etwas Neues errichten und einen Ort des lebendigen kulturellen Austauschs und Gedenkens schaffen. Wir benötigen keine weitere Kranzabwurfstätte, wo man sich jährlich am Abend des 9. November in großer Betroffenheit versammelt und den immergleichen Reden lauscht. Stattdessen einen kleinen Ort der Begegnung einrichten, der Raum für Vorträge, Lesungen, Konzerte und Theater bietet. Cafés, Kneipen und Partyzonen gibt es wahrlich genug in dieser Stadt.
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Die Demonstration in Berlin ist für die Veranstalterinnen zu einem Erfolg geworden. Nach Polizeiangaben folgten circa 13.000 Menschen ihrem Aufruf und versammelten sich zum »Aufstand für den Frieden«. Es nahmen auch rechte Gruppierungen und Einzelpersonen und Montagsdemonstranten und Querdenker teil, aber sie prägten nicht das Bild und den Ablauf der Veranstaltung. Wagenknecht und Schwarzer sprachen vom Anfang einer »neuen Friedensbewegung«. Berliner Freunde berichteten mir, dass die Veranstaltung vor allem von Anhängern der Linken getragen wurde, aus Berlin und Brandenburg, aber auch aus anderen Landesverbänden. Dazu seien viele ältere Menschen aus der westdeutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre gestoßen. Das Gros der Demonstrationsteilnehmer entstammte unserer Alterskohorte, also der der über 65-Jährigen, die sich seinerzeit schon gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen auf westdeutschem Boden gewandt hatte und für eine Verständigung mit der damaligen Sowjetunion und Abrüstung eingetreten war. Auch ich bin 1981 zur großen Demonstration im Bonner Hofgarten gefahren und habe mit vielen anderen in Gießen die Zugänge zum Nachschubdepot der US-Army blockiert. Meine Freunde und ich hatten damals im Unterschied zu zahlreichen Mitdemonstranten allerdings keinerlei Sympathien für Leonid Breschnew. Die sowjetischen Sojus-Raketen schienen uns keinen Deut weniger bedrohlich und abscheulich wie die amerikanischen. Den Antiamerikanismus haben viele der inzwischen in die Jahre gekommenen ehemaligen Friedensbewegten beibehalten und auch eine merkwürdige Nibelungentreue den Reichsverwesern der in ihren Augen glorreichen Sowjetunion gegenüber. Ich sah in einem Bericht über die gestrige Demonstration ein Plakat, auf dem stand: »Wir haben keine Angst vor Putin, wie haben Angst vor euch.« Und dann folgten fünf Köpfe aktueller deutscher Politikerinnen und Politiker. Mit Leuten, die solche Transparente hochhalten, möchte ich keinen Meter gemeinsam demonstrieren. Bei aller Distanz und Kritik ist mir der Anton Hofreiter dann doch deutlich lieber als der Putin. Ich könnte mir zur Not vorstellen, mit dem Hofreiter mal ein Weißbier zu trinken und eine Weißwurst zu zuzzeln und dabei über dies und das zu diskutieren. Während bei Putin sich mir beim bloßen Gedanken daran bereits der Magen herumdreht.
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Zum Schluss möchte ich noch eine Leseempfehlung aussprechen. Durch Zufall entdeckte ich neulich das Buch von Ulrike Heider: Keine Ruhe nach dem Sturm. Es ist eines der besten Bücher über die 68er Bewegung, die ich gelesen habe. Und derer sind viele. Das Buch besteht aus zwei Teilen, die das Buch in stetem Wechsel durchziehen. Der eine schildert die Ereignisse in Frankfurt/Main von Ende der 1960er bis zum Beginn der 1980er Jahre, wo sich Ulrike Heider durch die Spontiszene bewegt. Breiten Raum nimmt hier die Schilderung der Gruppe Revolutionärer Kampf (RK) ein, die aus einem von Hans-Jürgen Krahl geleiteten Marxismus-Seminar hervorgegangen war und die sich dann der Betriebsarbeit zuwandte. Die bei Opel in Rüsselsheim verteilten Flugblätter fanden auch den Weg nach Gießen und ich bewahre sie bis heute auf. Die Leute vom RK interpretierten das, was sie taten, im Bezugsrahmen der Kritischen Theorie, deren akademische Begrenzungen sie zu überwinden suchten. Ein während der Konstituierungsphase des RK 1971 von Reimut Reiche, dem ehemaligen SDS-Bundesvorsitzenden, verfasstes Papier zum »proletarischen Lebenszusammenhang« ist heute heute noch weitgehend zutreffend und lesenswert. Seine Intention war, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die Genossinnen und Genossen, die den Schritt in die Fabrik wagen wollten, die Illusion zu nehmen, dort würden sie das Klassenbewusstsein in seiner Reinform antreffen und »einfach so« in Richtung Revolution in Gang setzen können. Zwar sei es nach wie vor so, dass in der Sphäre der Produktion die kollektive Erfahrung von Ausbeutung gemacht werden könne, diese werde ab durch den individualisierenden und isolierenden Konsum gebrochen und partiell aufgehoben. In die gleiche Richtung wirke sich das Leben in der Kleinfamilie und der dort vorherrschende autoritärer Erziehungsstil aus. Hier knüpfte Reiche an Thesen an, die der Kommunist und Psychoanalytiker Wilhelm Reich bereits in der Weimarer Zeit formuliert hatte und die damals in der Linken auf wenig Verständnis gestoßen waren. Man schloss ihn aus der KPD genauso aus, wie aus der Psychoanalytischen Vereinigung. Den einen waren seine Thesen zu psychologisierend, den anderen zu politisch und revolutionär. Der RK bewegte sich im Unterschied zu anderen aus der Studentenbewegung hervorgegangenen Gruppierungen auf der Höhe der Zeit und thematisierte heute noch virulente Fragen, die in der Zwischenzeit aber verschüttgegangen sind. In den späten 1980er Jahren siedelte Ulrike Heider nach New York über und begann, nach den Spuren der breiten anarchistischen und anarchosyndikalistischer Bewegung in den USA zu suchen. Dieser Teil schloss für mich an eine Lektüre an, die ich gerade beendet hatte. E. L. Doctorow erzählt in seinem Buch Ragtime vom Besuch einer turbulenten Veranstaltung mit Emma Goldman in der Lower East Side am Anfang des 20. Jahrhunderts. Auch für Ulrike Heider ist Emma Goldman noch eine wichtige Bezugsperson. Heiders Buch unterscheidet sich wohltuend vom Gros der Literatur über die 68er Revolte. Sie stimmt nicht in den Chor derer ein, die abschwören und bereuen, sondern hält zentralen Ideen und Impulsen der Revolte und damit auch sich selbst die Treue. Ein tolles und gut geschriebenes Buch, das ich euch zur Lektüre empfehle!
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In gleißender Wintersonne und einem kalten Wind gehe ich die Lahn entlang. Ich träume vom ersten Bad im Fluss. Mindestens zwei, wenn nicht drei Monate werde ich noch warten müssen, bis ich es wagen kann, in den Fluss zu steigen. Über dem Feld steht rüttelnd ein Falke in der klaren Luft. Ein paar Krähen lärmen und staksen über den Weg. An einem Montag um die Mittagsstunde sind nur wenige Menschen unterwegs. Sie führen ihre Hunde aus und strecken ihre Gesichter in die Sonne. Ein stattlicher Grünspecht kreuzt meinen Weg, lässt sich auf einer Birke nieder und beginnt den Stamm zu traktieren. Über der Birke steht am helllichten Tag ein fahler Halbmond am Himmel. Mein Rad habe ich am Rübsamensteg abgestellt. Ich besteige es und kaufe auf dem Heimweg eins von den Steirischen Kürbiskernbrötchen, die ich so mag. Wie Robert Walser sein Glarner Birnbrot – jedenfalls im Traum von Max Frisch. In seinem Tagebuch berichtet Max Frisch unter dem Datum des 30. Juni 1966 von einem Traum. Jemand berichtet von einer verbürgten Begegnung zwischen Robert Walser und Lenin in der Spiegelgasse in Zürich im Jahr 1917. Dabei habe Robert Walser eine einzige Frage an Lenin gerichtet: »Haben Sie auch das Glarner Birnenbrot so gern?« Frisch fährt fort: »Ich zweifle im Traum nicht an der Authentizität und verteidige Robert Walser, bis ich daran erwache – ich verteidige Robert Walser noch beim Rasieren.« Wogegen Max Frisch Robert Walser verteidigt, führt er nicht aus, man kann es sich aber denken. Lenin könnte erwidert haben: »Während ich dabei bin, die russische Revolution vorzubereiten und Weltgeschichte zu machen, behelligen Sie mich mit so einem läppischen Kram!« Frisch wird eine Lanze für den »läppischen Kram«, für das Kleine und scheinbar Nebensächliche gebrochen haben, über das Revolutionäre gern hinweggehen. Das Kleine und Abseitige landet als störend im Lager. Dabei ist es das Kleine und Abseitige, auf das es letztlich ankommt und um dessentwillen man die Revolution macht. In seiner Miss- und Verachtung liegt das ganze Elend des staatlich organisierten Sozialismus beschlossen. Was ins Prokrustesbett der Begriffe und die Vorgaben des Fünfjahresplans nicht hineinpasst, wird abgeschnitten und beseitigt. Lebende Menschen sind selten so, wie die Partei sie sich vorstellt. Da ist viel abzuschneiden und zu begradigen. Wenn man sie lässt, sind Lebensläufe von Menschen wie mäandernde Bäche. Die sprengen aber das Fassungsvermögen der begradigten Gehirne der Staatsbürokraten. Also werden sie begradigt. Eine Freundin hat versprochen, im Spätsommer, wenn die ersten Birnen reif sind, ein Glarner Birnbrot zu backen. Ich freue mich jetzt schon darauf. Ein triftiger Grund, bis dahin durchzuhalten.
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