114 | Das Schreckgespenst des „kriminellen Ausländers“

„Der Schnee ist wie das Schweigen, dachte er, der Schnee deckt alles zu. Er macht die Welt leise, schluckt den Schall. Und macht sie schön.“

(Tommie Goertz)

Der Max sitzt in seiner Stube und lauscht auf das Knacken der Holzscheite im Ofen. Draußen vor dem Fenster fällt Schnee, und Max denkt daran, dass er früher an solchen Tagen beim Dorfmetzger einen Lappen Rindertalg geholt hat. Den mochten die Vögel so gern. Aber den Metzger gibt es nicht mehr, wie so vieles im Ort. Auch die Lilo hat ihren Dorfladen zugesperrt. Dort konnte man alles bekommen, von der Mausefalle bis zum Klopapier und Heringen aus dem Fass. Auch die Dorfschule wurde dicht gemacht. Jetzt werden die Kinder jeden Morgen mit dem Bus in die Stadt gekarrt und auf diese Weise früh an ein Leben als Pendler gewöhnt. Alles Althergebrachte und Gewohnte verschwindet. Kehrt man irgendetwas den Rücken zu, ist es verschwunden, wen man sich wieder umdreht. Da hört der Max die Totenglocke läuten. Sie schlägt für den Schorsch, mit dem der Max sein ganzes Leben lang befreundet gewesen ist. Zwei alte Männer, die sich zusammengetan hatten, gemeinsam zum Holzmachen in den Wald gingen oder am musealen Traktor herumschraubten. Schorsch hat sich beim Max immer mit Äpfeln versorgt, die dieser im Herbst gepflückt und eingelagert hat. Oft saßen sie einfach so da und schnitten Äpfel zu Schnitzen. Sie mussten nicht viel reden. Max brüht sich eine Tee auf. Die Kräuter für diesen Tee hat er selbst gesammelt, wächst alles draußen am Wegesrand und in der Flur. Der Tee muss eine Weile ziehen, damit er nach etwas schmeckt, aber auch nicht zu lang, sonst wird er bitter. Max fragt sich, ob der Schorsch ein Freund gewesen ist. „Der war halt immer da gewesen. Und jetzt wer er weg. Gestorben. Tot. Da würden sie vieles zu erzählen haben bei der Wacht.“

Zu dieser Totenwacht versammeln sich am Abend und in der folgenden Nacht die Alteingesessenen, um des Gestorbenen zu gedenken und sich Geschichten über ihn zu erzählen. Das ganze Dorf besteht aus Geschichten, die man sich bei solchen Gelegenheiten erzählt und die von Generation zu Generation weitergegeben werden, bis die Überlieferungskette eines Tages reißen wird und sich niemand mehr an irgendetwas erinnert. Man versammelt sich um den aufgebahrten Leichnam, erinnert sich an den Gestorbenen und erzählt sich was, bis der Bestatter kommt und den Toten abholt. Dem wachsamen Dorfauge entgeht nichts, und so gibt es genug Stoff fürs Erzählen. Auch davon, wie sie sich dagegen gewehrt haben, dass Afrikaner ins ehemalige Schulhaus einquartiert werden. Das hat sich dann später als Gerücht herausgestellt, aber da waren die Mauern des Schulhauses von den Einheimischen schon mit Hilfe von Drahtseilen und Traktoren niedergerissen worden. Abends ziehen sich die Männer peu à peu zurück, machen noch einen Abstecher ins Wirtshaus und gehen dann zu Bett, weil sie morgens zur Arbeit müssen. Die Frauen übernehmen die Nachtschicht am Totenbett. Mit den Frauen ändert sich alles. Es wird ruhiger und sakraler. Kerzen und Weihrauch werden entzündet. Die Frauen singen oder summen leise die ganze Nacht hindurch. Da ist der Max längst zu Hause und lauscht dem Knispeln der Mäuse.

Von diesem Dorfleben erzählt Tommie Goertz in seinem Roman „Im Schnee“, der gerade im Piper-Verlag erschienen ist. Sein Bestreben: Etwas, das untergeht, schreibend festzuhalten. Viel Passiert nicht in diesem Roman. Einer stirbt und wird unter die Erde gebracht. Bei der Totenmesse und dem anschließenden Totenschmaus beim Stangl-Wirt fehlt einer. Mehr soll hier nicht verraten werden. Es ist ein liebevolles, fast zärtliches Buch, das von einer untergehenden Welt erzählt, von Provinz und Ungleichzeitigkeit im Bloch‘schen Sinn. Ohne falsches Pathos und nostalgische Schwelgerei wird in einer dem Gegenstand angemessenen Sprache vom Dorfleben berichtet. Goertz schreibt über gegenseitige Hilfe und gelebte Nachbarschaft, verschweigt aber auch nicht die dörfliche Enge und Borniertheit, die Feindseligkeit und das Misstrauen gegenüber allem, was als fremd empfunden wird. Auch das grün und blau Schlagen von Frauen und Kindern gehört zur dörflichen Folklore. Kinder konnten von jedem Erwachsenen „eine gelangt bekommen“, wie man die Züchtigung euphemistisch nannte. Auf diese Weise sollten die Kinder die Regeln des Dorfes und die Gesetze der Gemeinschaft kennenlernen.

Ein Kollateralnutzen des Roman besteht darin, dass er uns tiefe Einblicke in die Gefühlswelt einer sozialen Gruppe gewährt, die der britische Journalist David Goodhart als „Somewheres“ bezeichnet hat. Im Unterschied zu den „Anywheres“ weisen die „Somewheres“ eine starke Bindung an den Ort auf, in dem sie leben und oft auch bereits geboren wurden. An normalen Tagen begegnet man in ihrer Welt nur Menschen, die man schon sein ganzes Leben lang kennt. Sie können dem ständigen Wandel wenig abgewinnen, weil er ihr Leben eher verschlechtert hat. Sie stecken im Damals fest und erleben die Globalisierung als Frontalangriff auf ihre Welt. Die Protesthaltung, die aus der Lage der Somewheres erwächst, bildet den Nährboden für den rechten Populismus, der sich rund um den Globus ausbreitet. Es ist die Gefühlslage von Hebbels „Meister Anton“, der die Welt nicht mehr versteht und sie sich wieder zurechtphantasiert. Wir müssen versuchen, uns in diese Gefühlswelt einzufühlen und einzudenken, wenn wir eine Chance gegen den rechten Populismus haben wollen. Auf der Basis dieses Verständnisses geht es darum, andere Aneignungsformen der Leidenserfahrungen zu entwickeln, die viele Menschen heute in ihrem Alltagsleben machen und die häufig andere sind, als die von der linken Theorie vorgesehenen.

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Als ich gestern vom Alten Friedhof zurückkam, hörte ich die ersten Kraniche auf dem Rückweg in ihre nördlichen Brutgebiete. Mir ist, als hätte ich erst kürzlich von der umgekehrten Reise berichtet. Alles beschleunigt und verdichtet sich.

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Am Samstag fand in Gießen eine große Demonstration gegen Rechts statt. Treffpunkt war der Platz zwischen Rathaus und Theater, der bald derart voll war, dass man den Überblick verlor oder gar nicht erst gewinnen konnte. Nur durch Zufall stieß ich im Gewühl auf meinen Freund Reinhard, mit dem ich verabredet war. Die meisten Leute standen in kleinen Gruppen beisammen, plauderten und warteten darauf, dass sich der Zug in Bewegung setzte, was er aber nicht tat. Nach einer guten halben Stunde beschlossen wir, der Kälte zu entfliehen und in einem nahe gelegenen Café etwas zu trinken. Außerdem sind wir beide in einem Alter, wo man nicht mehr lange stehen mag. Von dort aus beobachteten wir die weitere Entwicklung. Es tat sich innerhalb der nächsten Stunde nichts, der Zug setzte sich nicht in Bewegung. Irgendwann wehten Fetzen einer Rede herüber. Nach circa einer Stunde begleitete ich Reinhard zu seinem Auto, das in einem Parkhaus abgestellt war. „Wir haben unseren guten Willen gezeigt“, befand er, als wir uns trennten. Der heutigen Tageszeitung entnehme ich, dass sich rund 15.000 Menschen an der Demonstration beteiligte haben. Da kam es auf unsere Anwesenheit nicht unbedingt an. Wenn es hart auf hart kommt, sind wir auf jeden Fall dabei.

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„Lange fürchtete ich, nach ihrem (der Mutter, G.E.) Tod in Panik darüber aufzuwachen, dass sie nicht mehr in der Welt war, und wenn das nicht geschehen ist, dann wohl, weil sie mir genug Liebe gab, um auch ohne sie leben zu können.“ Hier benennt der dänische Schriftsteller Søren Ulrik Thomsen in seinem Buch „Store Kongensgade 23“ das Paradox der Mutterliebe, das darin besteht, dass sie uns, wenn wir „gut genug“ geliebt worden sind, instand setzt, uns von der Mutter trennen und unser eigenes Leben führen zu können. Wir dürfen uns dann ohne Schuldgefühl von ihr entfernen, um uns der Welt und anderen Liebesobjekten zuzuwenden. Richtig dosierte Mutterliebe ist so gesehen eine „Einladung ins Leben“. Winnicotts Formulierung der „good enough mother“, also der Mutter, die zwar nicht ideal, aber doch „gut genug“ ist, um ihrem Kind eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen, ist in ihrem nüchternen Klang gerade in unseren von einem Optimierungswahn gekennzeichneten Zeiten ein probates Gegengift gegen Überforderung. Umgekehrt ist es so: Wenn uns die Mutterliebe fehlt oder zur Unzeit entzogen wird, bekommt unser Weltverhältnis einen oft irreparablen Knacks. Die andere Seite des Knackses besteht darin: Ich habe etwas verloren und dadurch trage ich eine Sehnsucht in mir. Der Verlust treibt einen lebendigen Menschen an, nach dem Verlorenen zu suchen und es womöglich wiederzufinden. Ich bin allerdings durch die durch den frühen Verlust freigesetzte Angst derart gehandicapt und in meinen Möglichkeiten eingeschränkt, dass ich noch nicht einmal ungehindert suchen kann. Ich suche nur in meinem Kopf, und der ist für eine solche Suche eigentlich zu eng. Das ist mein Dilemma und Lebensthema.

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Am Donnerstag Vormittag (13. Februar 2025) ist in der Münchner Innenstadt ein PKW in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi gefahren und hat nach jetzigem Ermittlungsstand über 30 Menschen zum Teil schwer verletzt. Der Fahrer des Wagens wurde von der bei der Demonstration anwesenden Polizei noch am Tatort festgenommen. Es soll sich um einen 24-jährigen Mann aus Afghanistan handeln, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat. Der Mann war bislang nicht polizeibekannt und stand auch nicht unter Extremismus-Verdacht. Im Wahlkampf wird diese Tat jene politischen Kräfte stärken, die für eine restriktive Migrationspolitik eintreten und eine rigorose Abschiebepraxis fordern. Moderate Stimmen haben im Moment kaum Chancen, gehört zu werden. Sie setzen sich unmittelbar dem Verdacht aus, es mit den Tätern zu halten und ihr Handeln zu begünstigen. Tage später wird der Tod zweier bei dem Anschlag schwer verletzter Menschen gemeldet. Ein zweijähriges Mädchen und seine 37-jährige Mutter starben.

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„Im Jahre 1937 starb John D. Rockefeller, der König des Erdöls, Gründer der Standard Oil Company. Fast ein Jahrhundert lang hatte er gelebt. Bei seiner Autopsie fand man keinen einzigen Skrupel.“

(Eduardo Galeano: Kinder der Tage)

In den USA soll es noch immer Richter und Richterinnen geben, die es wagen, die Trumpschen Dekrete, die wie am Fließband und ohne jede parlamentarische Kontrolle erlassen werden, auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Damit soll nach dem Willen der Trump-Musk-Administration nun Schluss gemacht werden. Vizepräsident Vance erklärte, es sei unverschämt, dass sich Gerichte anmaßen, das Handeln der Exekutive zu kontrollieren. Damit wird die Axt an einen Stützpfeiler des Rechtsstaats gelegt und Demokratie und das Prinzip der Gewaltenteilung weiter ausgehöhlt. Der privatwirtschaftlich verfasste Betrieb, die Firma, ist das Bild, nach dem sich demnächst alles zu richten hat. Alles und jedes soll sich im Rahmen einer betriebswirtschaftlichen Rationalität rechtfertigen und definieren und wird einem entsprechenden Kosten-Nutzen-Kalkül unterworfen. Was sich nicht rechnet, fliegt raus und wird abgeschafft. Mitarbeiter von für überflüssig erklärten Behörden werden per E-Mail von ihrer Entlassung in Kenntnis gesetzt. Die Kettensäge Mileis ist zum Symbol für diese Kahlschlagpolitik geworden. Dafür hat Trump Elon Musk in seine Regierungsmannschaft geholt. Der Staat bleibt nicht länger geschäftsführender Ausschuss der gesamten Bourgeoisie, wie Marx und Engels ihn im „Kommunistischen Manifest“ bestimmt haben, sondern er wird Herrschaftsinstrument nur eines kleinen Teils der Bourgeoisie, nämlich der Milliardäre und Superreichen. Das ist selbst für den Fortbestand der kapitalistischen Herrschaft eine bedenkliche Entwicklung.

Kennzeichnend für den neuen Stil im Weißen Haus ist Trumps Umgang mit der Ukraine und Selenskyj. Trump telefoniert ohne jede vorherige Absprache mit Selenskyj mit dem Massenmörder Putin und verständigt sich mit ihm über die Zukunft der Ukraine. Putin darf das geraubte Territorium behalten, Trump sichert sich den Zugang zu wichtigen Rohstoffen, die auf dem Territorium des Landes zu finden sind. Im Interesse seiner Milliardärsfreunde aus der Tec-Branche sollen die Bodenschätze der Ukraine zum Ausplündern freigegeben werden. Musk zum Beispiel ist scharf auf seltene Erden für die Batterieproduktion. Das ist in Trumps Augen der Gegenwert der bereits geleisteten Unterstützung und steht ihnen zu. Selenskyj wird behandelt wie ein kleiner Junge, der noch nicht einmal dabei sein darf, wenn die Erwachsenen über sein Schicksal verhandeln. Drei Jahre lang hat er sich mit seinen tapferen Landsleuten gegen einen übermächtigen Aggressor zur Wehr gesetzt, nun soll er die Segel streichen und sich trollen. Auch die Europäer werden an den Entscheidungen nicht beteiligt, aber sie sollen nach Trumps Plänen die Folgen der Vereinbarungen mit Putin tragen und den Nachlass verwalten. Weitere Millionen Menschen werden ein zerstörtes, trost- und perspektivloses Land verlassen und ihr Heil in Westeuropa suchen. Tausende von im Grabenkrieg traumatisierten Männern werden unter anderem nach Deutschland kommen, wo ihre Frauen und Kinder schon Zuflucht gefunden haben, und ihre Traumata und akkumulierten Enttäuschungen mitbringen. Jeder aus einem Kriegseinsatz zurückgekehrter Soldat kann zu einer lebendigen Quelle weiterer Gewalt werden, die sich im Privaten gegen Frauen und Kinder oder zufällig gewählte Opfer austobt. Nur sehr starke Charaktere überstehen die Hölle eines Grabenkrieges ohne schwere Beschädigungen. Wir erleben in Deutschland in den letzten Monaten und Wochen die Folgen des Krieges in Afghanistan, der noch heute Unbeteiligte trifft. Das unter andere hat Aimé Césaire gemeint, als er vom Rückschlag imperialer Gewalt in die Mutterländer und einer dort drohenden Verwilderung und „Rebarbarisierung“ sprach. Die andernorts und die hierzulande praktizierte Gewalt fällt auf uns zurück. Nichts geht verloren, alles bleibt erhalten. „Man kann“, heißt es bei Bourdieu, „den Gewalterhaltungssatz nicht beschummeln: Gewalt geht nie verloren, die strukturale Gewalt, die von den Finanzmärkten ausgeübt wird, der Zwang zu Entlassungen und die tiefgreifende Verunsicherung der Lebensverhältnisse, schlägt auf lange Sicht als Selbstmord, Straffälligkeit, Drogenmissbrauch, Alkoholismus zurück, in all den kleinen und großen Gewalttätigkeiten des Alltags.“ (Gegenfeuer, Konstanz 1998, Seite 49)

Und wie reagiert die deutsche Politik auf die eben skizzierte Lage? Man will sich des geschilderten komplexen Problems durch Externalisierung und Abschiebung entledigen. Der „kriminelle Ausländer“ rückt in die Position des Feindes und wird den aus vielerlei Gründen frustrierten Massen mit großem medialen und politischem Aufwand als Sündenbock präsentiert. Der „kriminelle Ausländer“ ist seit jeher ein Lieblingstopos rechter Propaganda und eine Projektionsfigur für allerhand diffuse Ängste und Bedrohtheitsgefühle, die aus ganz anderen sozialen Erfahrungen und gesellschaftlichen Feldern (wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, der Prekarität von Arbeitsverhältnissen, Angst vor sozialem Abstieg und Verarmung) stammen. Oskar Negt, auf dessen Stimme wir gerade heute angewiesen wären, hat in seinen Erinnerungen, die unter dem Titel „Überlebensglück“ erschienen sind, geschrieben: „Der Rechtsextremismus in seinem weiten Spektrum von Ausdrucksformen ist das politische Falschgeld trügerischer Problemlösungen. Damit werden die ungelösten Widersprüche der globalisierten Arbeits- und Erwerbsgesellschaft nur verdrängt. Der Fremdenhass hat nur bedingt etwas mit den Fremden zu tun: Existenzängste, zerbrochene Lebensperspektiven besonders junger Menschen, der Verlust an gesellschaftlicher Achtung und materieller Mindestausstattung, durch Arbeitslosigkeit zwangsläufig verursacht, das Abrutschen in die Armut – sie bereiten den gesellschaftlichen Boden, auf dem rechtsextremistische Einstellungen mit ihren Feinderklärungen und Vernichtungsphantasien gegen das Fremde, Andersartige und schließlich gegen Andersdenkende wachsen und gedeihen. Der Fremdenhass lebt von der Täuschung, dass die Gesellschaft gesund und krisenfrei gemacht sei, wenn der letzte Ausländer das Land verlassen hat.“ Wir wissen, dass es so einfach nicht funktionieren wird. Wer keinen Feind mehr hat, trifft ihn im Spiegel, und diese Begegnung soll unbedingt vermieden werden.

Hegel, der Ur-Vater des modernen dialektischen Denkens, hat das, was er unter abstraktem Denken verstand, an einem Beispiel erläutert: Ein Mörder wird zum Richtplatz geführt. Dem gemeinen Volk ist er nichts als ein Mörder. Dies heißt, abstrakt gedacht, in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, dass er eben ein Mörder ist, zu sehen und durch diese einfache Qualität alles übrige menschliche Wesen an ihm zu tilgen. Wer solch abstraktes Denken vermeiden will, muss sich fragen: Was war der Mensch, ehe er zum Mörder wurde, und warum wurde er zum Mörder? Was in seiner Biographie ist schief gelaufen, wo ist er falsch abgebogen? Was daran liegt im Bereich seines eigenen Verschuldens, was geht auf das Konto äußerer Umstände? Was wird aus einem Mörder, nachdem er die Tat begangen hat und verurteilt worden ist? Wer sich ein Gewissen bewahrt hat, sollte sich vor der Beantwortung dieser Fragen nicht drücken, auch wenn man sie sich nur mit Entsetzen und Erschrecken stellen kann. Wer einen Mörder verstehen will, setzt sich dem Verdacht aus, ihn entschuldigen zu wollen. Diesem Verdacht war ich bei meiner Arbeit als Gefängnispsychologe ständig ausgesetzt. Wie oft habe ich in Konferenzen zu erklären versucht, dass Verstehen nicht mit Entschuldigen zu verwechseln ist, sondern den Versuch darstellt, eine innere und äußere Entwicklung nachzuzeichnen, die in einer schweren Straftat kulminierte. Manchmal führte das Verstehen dieses Weges auch zur Erschließung eines Weges, der aus dem Labyrinth krimineller Wiederholungszwänge heraus- und in ins Freie führte. Noch hoffe ich, dass uns das auch gesamtgesellschaftlich gelingt.

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Donald Tump hat seinen Vize J.D. Vance nach München zur Sicherheitskonferenz geschickt. Dort hat dieser nicht etwa die Welt über das Telefonat zwischen Trump und Putin und die Ukraine-Pläne seines Chefs unterrichtet, sondern den Europäern schwere Vorwürfe gemacht. Ausgerechnet die Trump-Administration wirft den Europäern ein mangelndes Demokratieverständnis vor, weil sie es wagen, an der Unterscheidung von Wahrheit und Lüge festzuhalten und der Verbreitung von Lügen durch Regulierung im Netz Grenzen zu setzen. „Die Gefahr, die ich in Europa am größten sehe, ist nicht Russland oder China oder ein anderer externer Akteur.“ Vance beklagte zum Beispiel, das man eine Brandmauer gegen rechte Parteien errichten wolle und keine Vertreter der AfD zur Konferenz eingeladen habe. Das Publikum wohnte seinem Vortrag konsterniert bei. Verteidigungsminister Boris Pistorius wagte es anschließend sogar, die Anschuldigungen zurückzuweisen und bezeichnete diese als nicht akzeptabel. Am nächsten Tag verbat sich auch Olaf Scholz die Einmischung der USA in den deutschen Wahlkampf und schon gar nicht zugunsten der AfD.

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Auf dem Alten Friedhof sah ich in der Februarsonne die ersten Schneeglöckchen des Jahres. Auf den Wiesenflächen leuchteten Krokusse in verschiedenen Farben und ich entdeckte Placken von gelben Winterlingen, die mir gut gefielen. Immer wieder staune ich, wie viel Platz auf manchen Grabsteinen mit der Aufzählung der beruflichen Stellungen und Titel des Gestorbenen verschwendet wurde: Landgerichtsrat, Forstrat, Oberbaurat, Medizinalrat, Professor für dies oder das. Ob jemand wirklich gelebt und ein gutes Leben geführt hat, erfährt man nirgends.

Abends höre ich im Radio, dass nun auch im Österreichischen Villach eine Messerattacke stattgefunden hat. Ein aus Syrien stammender Mann, der eine Aufenthaltsberechtigung für Österreich besitzt, ging in der Innenstadt mit einem Messer auf Passanten los, tötete einen Jugendlichen und verletzte mehrere andere Menschen. Der Täter wurde von einem Landsmann mit dessen Automobil gestoppt und konnte festgenommen werden. Er soll sich eindeutig auf den „Islamischen Staat“ bezogen und zu ihm bekannt haben. Die Messerattacke von Villach wird deswegen als islamistisch motivierter Anschlag eingestuft. Aber alle Versprachlichungen – mögen sie Hitler, Krieg oder „Allahu Akbar“ heißen – sind nur Chiffren für einen im Kern subjekt- und objektlosen Hass, der sich in den zerfallenden Gesellschaften rund um den Globus ausbreitet. Der Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer hat das, bezogen auf den jüngsten islamistisch motivierten oder codierten Anschlag vom 13. Februar 2025, so formuliert: „Der Täter hat den Zusammenbruch seines Lebensplans am Ende islamistisch rationalisiert.“

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Was wir alles unerledigt zurücklassen! Mit „wir“ meine ich die Mitglieder einer Generation, die um 1967/68 herum aufgebrochen ist, alles aus den Angeln zu heben und die Welt grundlegend zu verändern. Außer dass nun öffentlich gekifft werden darf, Schwule im Fernsehen auftreten und die Grünen für den Bundestag kandidieren, haben wir nichts erreicht. Welt und Gesellschaft (und die meisten Menschen leider auch) befinden sich in einem katastrophalen Zustand. Kurzum: Wir haben‘s verkackt. „Geschlagen ziehen wir nach Haus, unsere Enkel fechtens besser aus.“ Ernst Bloch wurde nicht müde, diese Parole aus dem Bauernkrieg als Mutmacher zu zitieren. Mit diesem Satz können wir uns nicht mehr trösten, weil es, wenn die Enkel dran sind, nichts mehr auszufechten geben wird. Ich wiederhole einen von mir bereits des Öfteren geschriebenen Satz: Zweihundert Jahre industrielle Produktion – in einer kapitalistischen und einer sozialistischen Version, die sich in ihrem Raubbauverhältnis zur Natur kaum unterscheiden – haben ausgereicht, die Erde sturmreif zu schießen. Das Experiment der Natur, ein denkendes Wesen aus sich herauszusetzen, ist gescheitert, weil der Mensch seine Abkunft aus der Natur vergessen und sich zu deren Beherrscher aufgeschwungen hat, statt nach einer einvernehmlichen Koexistenz zu streben.

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Mit Gerhart Baum ist am 15. Februar 2025 einer der letzten Repräsentanten eines sozialen Liberalismus gestorben. Baum ist 92 Jahre alt geworden und war bis zuletzt ein Streiter für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Gerade in  Zeiten einer sukzessiven Aushöhlung der Demokratie wird seine mahnende Stimme fehlen. Für Lindner und die heutige FDP besteht Liberalismus nur noch in der Freiheit des Marktes und des Profits. Ich habe mich schon länger gefragt, wie Baum es in der Gegenwart solcher Leute ausgehalten und was ihn in der FDP gehalten hat.

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Heute vor fünf Jahren, am 19. Februar 2020, ermordete in Hanau ein 43-jähriger Rechtsradikaler und Rassist neun Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Anschließend tötete der Attentäter seine Mutter und sich selbst. Um die Erinnerungen an das Massaker von Hanau lebendig zu halten, findet auch hier in Gießen heute Abend eine Demonstration und im Stadttheater anschließend ein Gedenk-Konzert statt. Ich habe 2020 zu den Morden von Hanau und der anschließenden Amokfahrt von Volkmarsen einen längeren Artikel für das Online-Magazin „Auswege“ geschrieben, den man hier finden kann: https://www.gew-ansbach.de/data/2020/05/Eisenberg_Narziss_und_Nazis.pdf

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Seit ich erfahren habe, dass sich die unverhoffte Wiederauferstehung der Linken einer erfolgreichen Kampagne auf Instagram und TikTok und den Sympathien von Heidi Reichinnek für Taylor Swift verdankt, bin ich skeptisch. Bleiben die gewählten Mittel dem Ziel äußerlich oder schlagen die Mittel irgendwann auf das Ziel durch? Mir hat das Reklameähnliche und das Anwanzen an Jugendmoden noch nie eingeleuchtet. Manipulation ist von Linken in jedem Fall zu meiden, selbst wenn ihre Intention auf den ersten Blick eine aufklärerische ist. Manipulation bedeutet, das Unbewusste für irgendwelche Sonderinteressen dienstbar zu machen, meist unter Verzicht auf die Bemühung, es über sich aufzuklären und ins Bewusstsein zu heben. Das aber sollte der entscheidende Unterschied zwischen linker und rechter Politik sein. Vielleicht bin ich aber auch einfach altmodisch und aus der Zeit gefallen. Ich kann mich nicht dagegen wehren, dass mir das Zähneblecken für Pressefotografen und Selfies unangenehm aufstößt. Außerdem ist jedem „Hype“  sein Verfallsdatum eingraviert. Es sind Strohfeuer, die entfacht werden, kurz auflodern und dann rasch in sich zusammenfallen. Kurzum, ich traue dem Braten nicht. Erinner wir uns: Bei der letzten Bundestagswahl haben viele junge Wählerinnen und Wähler die FDP gewählt. Anders als früher existieren keine stabilen Bindungen an politische Parteien und Positionen, wie überhaupt dauerhafte Bindungen im Zeitalter der Flexibilität kaum noch zustande kommen und letztlich auch nicht mehr gewünscht sind. Alles ist flüchtig und wie Handy-Verträge jederzeit kündbar. So kann es also sein, dass die jungen Leute der Linken schnell wieder den Rücken zukehren und weiterziehen zu Leuten und Kräften, die auf TikTok eine größere Reichweite haben.

Gestern hat die Linke mir einen Flyer in den Briefkasten geworfen, auf dem man im Befehlston aufgefordert wird: „Sag‘ uns deine Meinung!“ Mal abgesehen davon, dass ich nicht gern so mir nichts, dir nichts von fremden Leuten geduzt werde, war diese Einladung für mich zugleich ein Ausschluss, weil man den QR-Code scannen muss, um seine Meinung sagen zu können. Ich weiß weder, was ein QR-Code ist, noch, wie man so etwas scannt. Dass es Menschen geben könnte, die kein Smartphone besitzen und auch keins besitzen wollen, kommt den Linken nicht in den Sinn. Auch hier bekomme ich mein Aus-der-Welt-gefallen-Sein demonstriert. Wählen werde ich die Linke dennoch.

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Heute hat mir ein Anrufer mit einem türkisch-arabisch klingenden Akzent 1000 Euro dafür geboten, ihm meine Telefonnummer zu überlassen. Er brauche die aus geschäftlichen Gründen, weil sie so eingängig sei. Zu seiner Verwunderung bin ich auf das Angebot nicht eingegangen. Ein paar Minuten später rief er noch einmal an, um zu fragen, ob ich es mir nicht nochmal überlegen wolle, wenn er sein Angebot erhöhe. Im fünfstelligen Bereich ließe sich darüber reden, sagte ich. Da beendete er das Gespräch.

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Die Serie von Messerattacken reißt nicht ab. Am Freitag, den 21. Februar 2025, hat ein 19 jähriger anerkannter Flüchtling aus Syrien im Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals in Berlin auf einen  spanischen Touristen eingestochen und diesen schwer verletzt. Der junge Mann konnte kurz darauf festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt werden. Er habe Juden töten wollen, gab der mutmaßliche Täter zu Protokoll.

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In der Stadt traf ich meinen alten Freund Karl-Heinz. Anfang des Jahres ist seine Frau gestorben. Er ist noch dabei, zu versuchen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen und sein Weiterleben zu organisieren. Wir sind uns Ende der 1960er Jahre im Jurastudium zum ersten Mal begegnet. Die nicht sehr zahlreichen linken Jurastudenten besuchten damals die Vorlesungen von Helmut Ridder, Thilo Ramm und Herbert Jäger. Gerade die uns nahe stehenden Professoren, die Sympathien für die protestierenden Studenten hegten, wurden in jeder Vorlesung in Diskussionen verwickelt und zum Teil heftig attackiert. Es mag sich hierbei um eine Varianten des Freudschen „Narzissmus der kleinsten Differenz“ gehandelt haben. Die rechten Professoren waren in unseren Augen eh Deppen und wurden ignoriert, an den linken und kritischen arbeiteten wir uns ab. Herbert Jäger, der Strafrecht lehrte und ein bahnbrechendes Buch über „Verbrechen unter totalitärer Herrschaft“ geschrieben hatte, spielt für die Entwicklung meines weiteren Lebenslaufs eine wichtige Rolle. Wir hatten bei ihm eine Hausarbeit zum Thema „ Die Unterscheidung von Mord und Totschlag“ geschrieben. Ich empörte mich angesichts des noch tobenden Vietnamkiegs über die bloß akademisch-verdinglichte Fragestellung und zog ziemlich vom Leder. Der Assistent, der die Arbeiten zu korrigieren hatte, was ratlos, was er mit meiner Hausarbeit anfangen und wie er sie bewerten sollte. Er legte sie Herbert Jäger vor, der sich von irgendwoher die Telefonnummer unserer Wohngemeinschaft besorgte und anrief. Er lud mich in ein Café in der Nähe der juristischen Fakultät ein. In dem sich dort entspinnenden längeren Gespräch fragte er mich nach meiner Motivation, Jura zu studieren. Er selbst habe sich angesichts der juristischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zum Jurastudium entschlossen und sehe sich in der Nachfolge von Fritz Bauer. Er riet mir schließlich, meine Wahl zu überdenken und einen Wechsel des Studienfachs in Erwägung zu ziehen. Er könnte sich vorstellen, dass ein Studium der Soziologie und Philosophie für mich „ich-näher“ wäre. Ansonsten drohte ich unglücklich zu werden. Mit diesem Votum einer Autorität im Gepäck fuhr ich in den nächsten Wochen nach Hause und teilte meinen Eltern meinen Entschluss mit, das Studienfach zu wechseln und ab dem nächsten Semester Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie zu studieren. Soziologie klang in den Ohren meines Vaters verdächtig nach Sozialismus, und prompt verweigerte er mit die Finanzierung des weiteren Studiums. Kurze Zeit später erhielt ich eine Stelle als studentische Hilfskraft und konnte mich so leidlich über Wasser halten. Jahre später stieß Herbert Jäger auf einen Artikel von mir, der in den „Frankfurter Heften“ erschienen war. Er rief mich an, gratulierte mir zu dem Text und zu meiner Entscheidung, die Juristerei aufzugeben. Er selbst hatte sich nach seinem Wechsel an die Frankfurter Universität der Psychoanalyse und Sexualforschung zugewandt und neue Fragestellungen in die Kriminologie eingeführt. Mitte der 1980er Jahre schickte er mir eine seiner neueren Arbeiten. Vorn enthält sie  die Widmung: „Herrn Eisenberg – Mit herzlichen Grüßen“. Als man mich Jahre später bat, als Gefängnispsychologe den Film „Das Experiment“ über das Stanford-Prison-Experiment von Philip Zimbardo zu besprechen, habe ich auf diesen Band von Herbert Jäger zurückgegriffen. Ähnlich wie die Gehorsams-Experimente von Stanley Milgram zehn Jahre zuvor, sollte es demonstrieren, dass unser Gewissen und unsere moralischen Maßstäbe zwar für den Alltag leidlich taugen, unter dem Druck von Extremsituationen aber verblassen und bisher unbekannte Seiten an uns hervortreten lassen. Ich bin Herbert Jäger leider nicht mehr begegnet. Er ist im Jahr 2014 gestorben. Karl-Heinz schlug nicht die Laufbahn eines Juristen ein, sondern ging bei Zeiten in die Politik und wurde ein wackerer und aufrechter Sozialdemokrat, der auf lokaler Ebene zahlreiche Ämter bekleidete. Ich bekam eine Weile Drohbriefe und es wurden unter meinem Namen allerhand Dinge bestellt. Ich musste in einer Lokalzeitung eine Annonce aufgeben, dass ich für Bestellungen nicht aufkäme. Ich nahm die handschriftlichen Äußerungen meines Bedrohers und glich sie mit Hilfe linker Assistenten mit Hausarbeiten ab, die meine Kommilitonen geschrieben hatten. Relativ schnell gelang es uns, den Absender ausfindig zu machen. Er wurde von einem Assistenten einbestellt und gestand. Es Handelte sich um einen blassen Jüngling, der in einem Verbindungshaus wohnte und auf einer ultrarechten Liste für das Studentenparlament kandidierte. In seinem Kopf vermischte sich alles Mögliche zu einem bösen antikommunistischen und ressentimentgeladenen Gebräu. Im Vordergrund stand aber unverkennbar die Phantasie, wir Linken würden wild herumvögeln und die schönsten Frauen seien uns zu Willen. Kurzum: Der Sexualneid schlug ihm aus allen Poren. Ich sah ihn noch jahrelang gelegentlich in der Stadt. Er errötete dann und wechselte, wenn er mich rechtzeitig kommen sah, die Straßenseite. Er stieg später zum Leiter irgendeiner Behörde auf. Dass er in eine solche trostlose Sesselpfurzerlaufbahn hineingelaufen ist, nahm ich als seine gerechte Bestrafung.

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Es ist unglaublich: Im Auftrage von Trump hat Elon Musk Millionen von Staatsbediensteten aufgefordert nachzuweisen, was sie in letzter Zeit getan haben. Wenn sie diesen Leistungsnachweis binnen der gesetzten Frist von einigen Tagen nicht erbringen, droht ihnen die Kündigung. Es läuft wie in Trumps früherer Fernsehshow, wo er am Ende den Verlierer mit den Worten nach Hause schickte: „You’re fired!“

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„Die Märkte“ reagieren erleichtert auf den Wahlausgang, habe ich heute Morgen gehört. Das ist ja wirklich beruhigend. Märkte können sich nicht irren. Die Märkte sind skeptisch, manchmal verstimmt, sie erwarten etwas und sind auf jeden Fall äußerst sensibel und man darf sie nicht verschrecken. Was im alten Griechenland das Orakel von Delphi war, ist heute der Markt. Ein von Menschen geschaffenes ökonomisches Beziehungsgeflecht verselbständigt sich und verwandelt seine Urheber in Anhängsel, die bloß noch dazu da sind, die Märkte bei Laune zu halten und ihren Erwartungen zu entsprechen. Dieser Fetischismus beherrscht das zeitgenössische ökonomische Denken und Handeln. Der Markt bringt, wenn man ihn nur agieren lässt, ein allgemeines Gleichgewicht und damit die beste aller Welten hervor. Die Politik solle sich tunlichst heraushalten und die Steuerung ökonomischer Prozesse den Märkten überlassen. Unter dem vorgeblichen Handlungsdruck der Märkte hat sich die Politik in die ohnmächtige Position einer Instanz rücken lassen, die über das Wetter herrscht, wie Oskar Negt einmal treffend bemerkt hat.

Die AfD erzielte in Thüringen 38,6 Prozent, in Sachsen 37,3 Prozent, Sachsen-Anhalt 37,1 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern 35 Prozent und Brandenburg 32,1 Prozent. Zudem sicherte sie sich alle oder fast alle Direktmandate in diesen Bundesländern. Der Osten ist blau, bis auf einzelne, wenige rote Enklaven. So wurde die Linke in Berlin mit knapp zwanzig Prozent der Stimmen zur stärksten Kraft. Sie scheint in den Ruccola-Bezirken der Großstädte die Grünen zu beerben.

Heute vor drei Jahren hat Russland die Ukraine überfallen. Anfang des Monats bezifferte Präsident Selenskyj die Zahl der seit Kriegsbeginn getöteten ukrainischen Soldaten auf 45.100. 310.000 Soldaten seien verletzt worden. Westliche Geheimdienste gehen sogar von einer noch größeren Zahl aus. Wird Zeit, dass das Sterben endet, aber nicht zu von Russland diktierten Bedingungen. Sonst wäre der Tod der ukrainischen Soldaten und Zivilisten sinnlos gewesen.

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